Dienstag, 31. Dezember 2013

Montag, 30. Dezember 2013

Freitag, 13. Dezember 2013

Donnerstag, 5. Dezember 2013

Dienstag, 3. Dezember 2013

Montag, 18. November 2013

2 grad

wir hörten chansons. es war kitschig. aber ich mochte es, wenn sie ihren runden kopf an meine schulter lehnte. sie war mehr in meinem leben, als ich in ihrem. dann tranken wir schwarzen tee im bett, der irgendwann umkippte.
wir kannten uns kaum, doch waren wir ständig beisammen. sie hatte einen freund. sie hatte ein echtes leben. und sie war nie alleine. nie redete sie über die zukunft. auch nicht über unsere. meine gefühle sind in der warteschlange, sagte sie. das reichte mir.
ich vergrub mein gesicht an ihrer hüfte, und wollte sie nicht gehen lassen. die fenster innen beschlugen, während die nacht draussen 2grad hergab.
ich verliebte mich in die vorstellung einer schmerzfreien welt.  ich vergass die arbeit. reiste, da ich das geld brauchte. ich sah sie in jedem schaufenster. an jedem flughafen. in jeder u-bahn. ich wartete, bis sie sich meldete. ich sah ihre strähnen, wie sie sich hinter ihren ohren versteckten. ich sah ihren roten wollpullover,den sie beim spanier anhatte. sie war hungrig. ich durstig. ich wusste, es konnte so nicht weiter gehen. mein bruder sagte mir, schreib ihr nicht mehr und schlaf mit anderen frauen. ich schrieb ihr und schlief nicht mit anderen frauen.
wir gingen aus. sie fror. ich umarmte sie. dann tanzte sie, griff nach den lichtern. ich wusste nicht, wie ich sie halten konnte. ich hatte nichts. kein leben. sie hatte zu viele. 
ich ging weg. heute suche ich sie nicht mehr, aber ich sehe sie immernoch. ihre haarsträhnen nun in der sonne.

Sonntag, 10. November 2013

Donnerstag, 7. November 2013

schwer verdaulich

ja doch. sie war schwierig. sich mochte die kälte nicht. die hitze nicht. sie mochte schweinebraten nicht, weil ihr die schweine darin leid taten. sie mochte verliebte köche nicht. und die unpünktlichkeit auch nicht. die englischlehrerin mochte sie auch nicht. lange fingernägel auch nicht. zu volle strände und zu volle metros auch nicht. sie liebte menschen, aber nicht die im schwimmbad. sie hätte gerne gehabt, dass spinat und möhren babies hätten, das hätte ihr besser geschmeckt. sie mochte laute musik, aber im auto und alleine. sie mochte das fliegen, aber nicht das im flugzeug. sie mochte den wind, auch wenn er ihr gehirn durcheinander wirbelte. und manchmal, wenn sie die welt nicht mehr verstand, nahm sie ihre kamera, um sie wieder zu begreifen. ja, sie war ein exot und manchmal schwer verdaulich. aber ihr charme haute mich jedesmal wieder um.




Mittwoch, 30. Oktober 2013

wäsche waschen

als ich kam, war es herbst. sie nahm mich auf. wie jedes jahr. ich hatte ihren schlüssel. in der wohnung war leise. sie war nicht da. ich duschte. und konnte meine wäsche waschen. ich habe ihr ein badehöschen mitgebracht, dabei hoffte ich, dass sie noch dieselbe grösse hatte wie im vorjahr. ich bestellte mir eine pizza und zwei bier später schlief ich ein. nachts wurde ich wach. der jetleg machte mir zu schaffen und ich wollte sie sehen. sie schlief. sie war warm und weich und roch nach teurem wodka. ich musste sie küssen. nein, verschlingen. es war mir egal, ob sie einen freund hatte. als sie kam, wusste ich, dass sie keinen freund hatte. danach haben wir geredet. wortlose musik gehört.
am nächsten tag stand sie da. hatte ein gepunktetes kleid an. sie zog sich eine jacke über und wickelte ein grosses tuch um ihren hals.
bis dann, sagte sie. bleib, sagte ich. sie lächelte. dann ging sie. von oben sah ich, wie sie mit dem rad davon fuhr. und wie die bunten blätter sie verfolgten.

Mittwoch, 23. Oktober 2013

morgens

als du zurückgekommen bist, hat es geregnet. es war herbst. du warst die temperaturen nicht gewohnt. du hast in meiner wohnung halt gemacht. und du warst auf der durchreise. eine nacht wolltest du bleiben. eine nacht. ich wusste, dass du wieder gehen wirst. du  hast deine sachen in die diele geschmissen. hast stundenlang geduscht. zwei bier getrunken. als ich kam, hast du geschlafen. tief und fest. ich hatte deinen kopf gestreichelt und deine bräune im dunkeln bewundert. in der küche lag ein bikinihöschen. und ein zettel. für dich stand drauf. ich legte mich auf auf die couch. streckte mich. goß mir ein glas wodka ein. zog das bikinihöschen an. legte den zettel auf meine brust und schlief ein. nachts hast du mich geweckt. der jetleg, hast du gesagt und gelächelt. dann hast du mich an den hüften gepackt und mich geküsst. überall. wir hörten portishead. bis es hell war. der wodka war leer.
am nächsten tag sah ich raus. das laub klebte am boden. du warst wach und hast die decke bis zum kopf gezogen. geh nicht, hast du gesagt. ich musste gehen.
die luft war frisch. das laub roch würzig. ich nahm das rad und fuhr los. ich spürte dich noch. bis zum nächsten jahr.

damage

Dienstag, 22. Oktober 2013

erde und wälder

als opa starb, hatte er keine zähne mehr. er sprach auch nie vom tod, ausser dass er bei seiner beerdigung seine feinsten schuhe anhaben wollte. so haben wir sie ihm angezogen. sie waren klein, schwarz und aus lack.
opa war bei der marine. er war berufssoldat. dann war er im krieg und in gefangenschaft. stolz zeigte er uns kindern immer seine narben und seine blaßblauen tätowierungen. so bestaunten wir dreimaster auf seiner brust und meerjungfrauen an seinen unterarmen. opa lachte viel. und rauchte auch viel. er musste auf dem balkon rauchen, bei eisiger kälte war er dann draussen und unterhielt dabei die halbe nachbarschaft. opa stand oft mitten in der nacht auf und ging in die stadt, um für fleisch anzustehen. manchmal kam er nach 6stunden zurück und hatte kein fleisch dabei, aber dafür süssigkeiten für uns kinder und zeitungen. am nächsten tag versuchte er es wieder. und wieder. bis er fleisch mitbrachte. opa mochte die wälder um die stadt herum. er fuhr mit der strassenbahn bis zur letzten station und ging in den wald. dort sammelte er steinpilze. die tasche war voll als er zurück kam. opa konnte kartoffelschnaps brennen und kannte alle kartentricks.
als opa starb wurde er nicht verbrannt und seine asche ins meer geworfen. er sagte, dass das meer ihm kein glück gebracht hatte. es war kalt als opa starb. die erde war zugefroren, so dass man sie erst anbrennen musste, um sie auszuheben. eine lange linie mit menschen zog sich zum grab. die männer, die den sarg trugen weinten. es waren seine söhne. als die erde dann mit einem dumpfen knall auf seinen sarg fiel wusste ich, dass er nie wieder zurückkehren würde. und weinte.

Mittwoch, 16. Oktober 2013

im außenbezirk

die nacht war kurz. der club war überfüllt. laut. die lichter grell. stroboskopisch. ich suchte die bar des clubs auf. ich betrank mich. wie jeden abend eigentlich. und dort arbeitete er. oberkörperfrei. anders konnte man es ohnehin in diesem dunstkreis nicht aushalten. ich hatte noch die sachen aus dem büro an. ich war völlig durchnässt. aber angetörnt von den gedanken ihn wieder zu sehen.  er mixte die drinks. tanzte. und ab und zu lächelte er rüber. ein lichtblick. dann war ich auf dem klo. überall wurde gekokst. geknutscht. gefummelt. ach, vieles mehr noch. erst fand ich es berauschend, doch irgendwann wurde es mir zuviel. es ekelte mich an. ich war kein voyeur. das leben hatte ich ohnehin satt. aber an diesem mann konnte ich mich nicht satt sehen. irgendwann schlief ich an der theke ein. dann berührte mich ein arm. sein arm. wir schliessen,  ich muss dich rauswerfen, sagte er. ich war so fertig, dass ich ihn kaum erkannte. ich lallte irgendwas vor mich hin und mit langsamen schritten bewegte ich mich raus in die kälte. ich schaffte es nicht ein taxi zu rufen.
dann wachte ich auf. ich sass im taxi. er neben mir. in pullover und jacke. verrätst du mir jetzt wo du wohnst, sonst muss ich dich mitnehmen, er lachte. ich sah aus dem fenster. grau zog die stadt an uns vorbei. menschen stiegen in busse, strassenbahnen oder fuhren rad. das licht der ampeln strahlte uns an. ich wollte nicht wissen, wie ich aussah. die scheibe des taxis gab mein spiegelbild nicht her. es war mir peinlich, dass er mich so sah. ich komme mit, entschied ich. wir fuhren zu ihm. er wohnte am rande der stadt. ich schleppte mich in den 4.stock des altbaus hoch und landete in einer wohnung. klein, warm. mit schönem boden. er brachte mich in die küche und ich setzte mich. die küche war klein. vollgestopft mit töpfen, pfannen, messern. schälchen, äpfeln, birnen und getrockneten kräutern. ich dachte an meine riesige kahle, ja fast sterile wohnung. ich kochte nie. aß immer auswärts und in hotels, in welchen ich übernachtete. er zog seine jacke aus und machte uns kaffee. mein kopf dröhnte. ich traute mich kaum ihn anzusehen. er stand wie aus dem ei gepellt vor mir. jeans. t-shirt. barfuss. als ob er nie gearbeitet hätte. zumindest nicht in dieser hölle. er reichte mir den kaffee. danke, es ist mir ein wenig peinlich, dass du mich so siehst, sagte ich leise. das ist ok, sagte er. ich trank langsam. dann kam eine katze herein. das ist heroin, sagte er und hob heroin hoch. heroin war schneeweiss. ich musste lächeln. fragte nach dem badezimmer. hinten rechts. ok. im bad standen tübchen und cremedöschen. duschgels und bodylotions. drei parfümsorten. kaltwachs. ich suchte vergeblich nach o.b.'s und frauenhöschen.  fand nichts. sah mich im spiegel an und sah wieder weg. wusch mir lange die hände mit einer honigseife und ging zu ihm und heroin zurück. es war mittlerweile hell. und das im winter. ich wusste nicht was ich wollte. ich wollte nicht nach hause. da wartete das leben. das langweilige luftleere leben.  hier, hier gab es sehnsucht. und sehnsucht war lebendig. und lebendigkeit konnte ich mir nicht kaufen. du kannst noch bleiben, sagte er. ich muss mich hinlegen. habe später paar vorlesungen, er griff kurz nach meiner hand. was studierst du, fragte ich. medizin, sagte er. ich stand auf. wollte was sagen. wusste nicht was. mir war schwindelig. es war ein traum hier zu sein. bei ihm. in seiner wohnung. mit einer katze, die heroin hieß. du hast dich noch nicht geoutet, nicht wahr? er sah mich an. nein, sagte ich. mein magen rebellierte. fast musste ich kotzen. ich musste kreidebleich sein. er öffnete das kleine fenster. komm, sagte er. die luft war kühl. ein nebel hing über der stadt. hier und da dampfte es. bleib bei dir, dann wird es dir besser gehen. ich schloss die augen. er verließ die küche. heroin blieb. und ich auch.


Dienstag, 15. Oktober 2013

post mortem

ich sah auf das meer hinaus. eine dunkle, tobende masse kämpfte sich am strand entlang. es war kalt. ich versteckte mich in meiner jacke. jahrelang war ich nicht hier. damals wurde seine leiche an diesen strand gespült. ich war noch klein. meine mutter sprach danach nicht mehr. sie verstummte einfach. ich wollte sie retten, doch es passierte nichts. außer, dass mein vater tot blieb. die jahre vergingen. meine mutter redete immer noch nicht. sie wurde zum kind. und ich wurde erwachsen.
in meiner kalten rechten hand hielt ich lilien. in der linken hatte ich ein stofftaschentuch. ich wickelte es um die stiele, schloss die augen und warf alles weit in die see. die lilien waren meine mutter. das stofftaschentuch mein vater. beide ließ ich gehen. und wurde gerettet.


Dienstag, 8. Oktober 2013

morgens um 7 ist die welt nicht in ordnung

mein vater hatte mal wieder ein date. das habe ich bemerkt, weil er das bad stundenlang blockierte. als er endlich rauskam roch er wie ein in axe geduschter teenie und sein haar war eine einzige gelkruste, vom restlichen outfit ganz zu schweigen. er hüpfte einbeinig durch die wohnung und suchte seinen sakko, welcher viel zu eng war, aber  in einem unverkennbaren grellgrün, so wie es die bei zara zu hunderten gab. ich musste innehalten, um nicht zu lachen. so stand ich mit meiner kaffeetasse in der hand  in der wohnung und freute mich darüber, dass er urplötzlich um jahre jünger war. wie sehe ich aus, fragte er mich. ganz gut, bis auf die schweissperlen auf deiner stirn, ich musste lachen. und er auch.
mein vater ist seit 9 jahren von meiner mutter getrennt. sie verliess ihn. ich glaube die meisten frauen verlassen ihre männer. sie sind irgendwie konsequenter. mein vater ist ein merkwürdiger vogel. aber ich blieb bei ihm. meine mutter hat eine neue familie gegründet. ab und zu besuche ich sie.
seitdem ist mein vater alleine. hin und wieder schleppte er eine frau an. sie kamen meist nicht nochmal. dann stand mein vater geknickt in der küche, rauchte und schob seine üble laune auf das wetter. er tat mir leid. ich bestellte für uns pizza, fragte nichts, aber ich war froh dass diese damen weg waren. die meisten hatten einen stock im arsch und keine ahnung von familie und kindern, obwohl sie selbst familie und kinder hatten. dann wurde es still im haus. ausser heute. mein vater verschwand mit seinem grellgrünem sakko im treppenhaus, dann in seinem saab und dann war er weg.
am nächsten morgen war die badezimmertüre verschlossen. ich hörte die dusche. sonst nichts. ich ging in die küche und lies die espressomaschine warmlaufen. dann ging die badezimmertüre auf. guten morgen, sagte eine frauenstimme. ich zuckte zusammen. hi, sagte ich. vor mir stand eine kleine person. weiblich. blond. jung und im handtuch eingewickelt. sie strahlte. hast du einen föhn für mich, wollte sie wissen. ich nickte und gab ihr meinen, der seit gestern in der sporttasche lag. danke, sie huschte wieder ins bad. mein vater schien durchgedreht zu sein. jetzt lud er schon teenager zu uns nach hause ein. sauer sah ich aus dem fenster. sie war doch jünger als ich. ok, ich bin 25, aber älter war sie doch ganz sicher nicht. ich hörte den föhn, der auf hochtouren lief, von meinem vater immernoch keine spur. eine weile später stand sie wieder in der küche. sie gab mir den föhn, dann ihre hand. annabelle, sagte sie leise und lächelte. friederike, sagte ich, aber alle nennen mich freddy. scheisse, was sagte ich da? ich kannte sie doch gar nicht. wenn das so ein one-night-ding war, möchte ich doch nicht, dass mich eine annabelle aus sonstwo kennt. und mich freddy nennt. sie setzte sich an den küchentisch. so ganz selbstverständlich tat sie das. und sah sich um. ich machte das radio an. es duddelte der übliche morgentliche mist heraus und ich machte kaffee. auch einen? ich hob die tasse hoch. ja, annabelle fühlte sich wie daheim und mein vater war wohl tot. annabelle hatte ihn totgevögelt. soviel war sicher. und dann hat sie noch den mumm seelenruhig einen kaffee von der tochter des opfers anzunehmen. wie bescheuert.
annabelle stand mit einem satz auf, ging ans radio und stellte einen neuen sender ein. jetzt lief klassik. na herrlich. besser, oder? erwartungsvoll sah sie mich an. ja klar, lachte ich. innerlich musste ich kotzen. komisch für dich nicht wahr, wenn dein vater jemand mitbringt. ich wollte zu mir, aber er bestand darauf. und ich fand die idee dann auch ganz gut. er hat mir viel von dir erzählt, sie lächelte. tatsächlich, ich schob eine augenbraue hoch, von dir hat er nichts erzählt. zeitgleich verbrannte ich mich am kaffee. die musik wurde unerträglich. auch das gespräch. ich kämpfte mit den tränen. annabelle nahm meine hand. tut mir leid, ich wollte dich nicht überfallen. ich kenne das. mein vater lebt auch alleine. werde jetzt mal rübergehen und mich anziehen. muss in die agentur. wenn du magst, können wir mal mittagessen gehen. ich würde mich freuen freddy. sie drückte meine kalte hand,  stand auf und ging ins zimmer meines vaters, der wohl immernoch tot war. dann kam sie raus und sie sah verdammt gut aus. tolle figur und auch noch coole sachen an, so eine hautenge jeans, schwarzes seidenhemd und die blauen high heels von isabel marant, welche ich bei net-a-porter schon tausendmal bewundert hatte. sie warf sich eine feine lederjacke über, gab mir eine kusshand und ging. ich hörte ihre schritte noch lange im treppenhaus.
was hat sich der arsch denn überhaupt dabei gedacht? er schleppte nicht nur eine 30jährige blonde ins haus, nein- er bestand sogar darauf. offensichtlich kannte er annabelle schon länger. scheisse. dann ließ er sich totvögeln oder er stellte sich tot um nicht in diese peinliche situation zu kommen, beide frauen in seiner küche stehen zu haben. und das morgens. morgens um 7. doof ist er nicht. tatsächlich nicht. und annabelle auch nicht. scheisse!
irgendwann  kam er in der küche. unsicher. in boxershorts und weissem t-shirt. das gel rieselte aus seinem haar. und überhaupt sah er ziemlich zerknittert aus. aber gar nicht so übel. und schon gar nicht tot. hast du sie noch gesehen, fragte er leise. ja, sagte ich. sie mag dich freddy, er sah zu boden.  ich weiss, sagte ich. er berührte meine schulter. ich drehte mich um. wir sahen uns an. tu mir einen gefallen, sagte ich.  jeden, sagte er. lass das scheiss sakko in grellgrün weg- es passt nicht zu den blauen high heels von isabel marant. ich lachte. und mein vater auch.

Sonntag, 29. September 2013

beerdigung


mein vater starb vor knapp zwei wochen. die nachricht erreichte mich gestern. meine schwester bat um mein kommen. sie war die einzige in der familie, ausser mir, die schreiben konnte. ich kämpfte mit dem gedanken zurück ins dorf zu fahren, um diesen verrückten zu beerdigen. ich bat gott um hilfe, doch er antwortete mir nicht. also nahm ich meinen ganzen mut zusammen, rauchte fast eine schachtel zigaretten im hinterhof und packte meinen koffer. 
auch im slalom geht es vorwärts, sagte dolores und umarmte mich zum abschied. ich stieg erst ins taxi, dann ins flugzeug, dann in einen bus und nach knapp 15 stunden war ich da. vor mir ein bergmassiv, klare flüsse und blauer himmel. meinen trolley konnte ich kaum über den steilen schotterweg rollen und so schleppte ich die letzten meter mein westliches hab und gut zu unserem haus. das haus war kein haus. es war eine hütte, welche zwar steinboden hatte, aber der rest eine ansammlung aus lehm, gestein und holz war. vor dem haus saßen schwarzbekleidete frauen im halbkreis. sie hoben die köpfe als ich kam. der eine kopf gehörte meine mutter. sie stand auf. dann fiel sie in sich zusammen. ein lautes aufheulen unterbrach die stille. ich blieb stehen. du hast ihn verpasst, du hast ihn verpasst, schrie sie und sah zum himmel hoch. ihr gesicht war vom weinen aufgequollen und schmerzverzerrt. ich rührte mich keinen zentimeter. dann kam meine schwester aus dem haus und lief auf mich zu. sie umarmte mich. lachte und weinte gleichzeitig. ich sah dass sie schwanger war. dann führte sie mich zu meiner mutter in schwarz. meine mutter nahm meine hände und spuckte drauf. dann heulte sie wieder. ich kannte das theater. es hatte sich nichts geändert. aber ich hatte mich geändert. ich nahm sie in meine arme, hielt sie fest und ihr körper zuckte unter ihrer trauer. so blieben wir in unseren armen liegen. ich verlor jegliches zeitgefühl.
später saß ich im haus. vor mir ein dampfender bohneneintopf. frisches brot und kräutertee. meine brüder waren nicht da, so konnte ich mich etwas entspannen. auch sonst habe ich keine männer im dorf wahrgenommen. meine mutter erzählte, dass sie meinen vater verbrannt haben und auf mich gewartet haben um ihn zu beerdigen. ich trank von dem tee, welcher nach zimt schmeckte. ich sah mich um. es war nicht mehr so dreckig wie damals. es roch auch nicht nach tabak und eselsalami. meine mutter hatte wohl zeit zum nähen. ich sah tischdecken und vorhänge. die farben gefielen mir. türkis. rosa. viele stickereien mit patina. ich strich über die tischdecke. die qualität war gut. der stoff doppelgekämmt. ich mochte es. auch die blumen im haus. es waren zwar totenblumen, aber sie passten.
ich schlief gut und am nächsten tag wurde mein vater beerdigt. ich sah nach knapp zwei jahren meine brüder wieder. wechselte jedoch kein wort mit ihnen. auch sah ich andere bewohner des dorfes. die frauen weinten,  die männer standen still herum. ich konnte auch nicht weinen. ich stand wie angewurzelt vor dem grab, in welchem die asche meines vaters eingelassen wurde. 
am abend fanden sich nahe bekannte ein, aber es ging leise zu. meine brüder sahen heimlich zu mir rüber, aber ich merkte, dass sie mein dasein einschüchterte. der westen machte ihnen wohl angst, oder mein mut, dass ich abgehauen bin. ich weiss es nicht. 
ich traf auch elias wieder. er lebte damals im dorf nebenan. er umarmte mich kurz nach der beerdigung. du hast dich verändert, flüsterte er und lächelte. ich lächelte. es tat gut, umarmt zu werden. elias war ein schöner mann. das war mir nie aufgefallen, denn das dorf war immer hässlich und mit unschönen erinnerungen verbunden. 
ich trank nach dem üppigen abendessen noch zwei schnäpse und ging nach draussen. meine schwester kam nach. ihr mann blieb im haus. sie traf ihn vor knapp zwei jahren in der stadt. er war zurückhaltend und warmherzig. ich mochte ihn. er hielt kurz darauf um ihre hand an. mein vater schien ihn zu mögen und gab sie her. vielleicht hoffte er aber auch, dass sein neuer schwiegersohn vermögend war. meine schwester ging also auch weg. nur jetzt war sie für meine mutter da. so wie ich. nur, dass ich keinen mann hatte und auch nicht schwanger war. ich dachte an dolores. an das hotel. ich war froh, dass ich wieder zurückkehren konnte. meine schwester erzählte, dass mein vater kurz vor seinem tod geweint hatte. fast täglich. es war unerträglich. sie war froh, dass er starb. er war wie ein kleines kind, konnte sich an nichts erinnern und wollte nicht mehr aufstehen, mir brannte das herz, erzählte sie und weinte. dann weinte ich auch. ich konnte mir denken, welche strapazen die letzten wochen waren. dann befühlte ich ihren bauch. es war wunderschön. dann lachten wir und umarmten uns.
sie ging zurück ins haus. ich blieb sitzen und sah hoch. ein sternenteppich legte sich über den himmel und ich atmete tief ein aus. dann kam elias.
als ich am nächsten tag aufwachte überlegte ich erst wo ich war. ich sah seinen rücken. sein dunkles haar. er roch gut. er roch nach bergluft. unschuldig lag er neben mir und schlief. ich wusste was passiert war. ich spürte es sogar noch.
mein kopf war noch etwas schwer. aber ich fühlte mich gut. noch bevor ich weiterdenken konnte, strich er mir das haar aus dem gesicht und küsste mich. ich blieb noch eine weile. ich wusste dass sich alle das maul zerreissen würden, aber es war mir egal. es war auch ihm egal. er lebte nicht mehr im dorf. er lebte in der  stadt und arbeitete als ingenieur. auch er kam lediglich zur beerdigung. mit dem leben hier hatte er nicht mehr viel zu tun. ich schloss die augen und erlebte alles nochmal. er war das gegenteil der anderen männer hier. und ich blieb bis zum abend.
meine mutter schüttelte den kopf und weinte wieder. ich umarmte sie. ließ geld da. küsste meine schwester und am nächsten tag fuhr ich mit ihm in die stadt. ich blieb eine weitere nacht. aalte mich im gefühl gut aufgehoben zu sein. dann kehrte ich in meine stadt zurück und wusste, dass ich mich für das richtige entschieden hatte.

Sonntag, 15. September 2013

der fisch auf eis

der vorfall im aufenthaltsraum machte mich immernoch wütend. und kühl. ich hatte keine lust mich mit claude mehr als notwendig abzugeben. ich war sogar kurz davor mit dolores zu reden um ihn weiter in die küche oder in den restaurantbereich zu befördern. seine unprofessionelle art ging mir auf den keks. da ich jedoch nicht unmenschlich sein wollte, ließ ich claude vorerst bei uns. aber ich arbeitete förmlicher, war nicht mehr für jeden spass seinerseits zu haben und brummte ihm viel arbeit auf. er selbst wurde stiller, seine witze trauriger und seine blicke flehten mich an. seine schönheit kam jedoch täglich mehr zum ausdruck, ich nehme an, weil er zunehmender litt. das machte mich erst nachdenklich, dann jedoch war es mir egal. ich erledigte meine dinge. das ganze etwas strenger, kontrollierter und ohne charme.
nach einer woche bat mich dolores in ihr zimmer. was ist los mit dir, sie nahm ihre kleine brille ab. wieso bist du wie ein eisklotz, wo ist dein humor geblieben, deine sensible art? du bist grantig, so kenne ich dich nicht. was ist passiert,  fragend sah sie mich an. ich blieb stumm. ich wusste nicht ob ich wütend oder traurig sein sollte. ich starrte auf dein weichen teppich. hat das ganze möglicherweise mit claude zu tun? sie setzte ihre brille wieder auf. ich nickte und sah zu boden. das hätte auch ein blinder gemerkt, sagte sie. ok, was soll ich tun, ihn in den restaurantbereich versetzen? soll er vielleicht kartoffelschälen, gänse stopfen oder gingläser für die bar polieren? sag es mir, dolores stand auf. merkst du eigentlich was du in den menschen auslöst? merkst du dass menschen dich mögen? dich bewundern oder sich sogar möglicherweile in dich verlieben? ist dir das fremd, dolores lief durch das zimmer. du hast recht meine liebe, dass das am arbeitsplatz nichts verloren hat. sicherlich nicht, aber du warst bereit die arbeit zu deinem leben zu machen. so wie ich es vor 40 jahren tat. also lebe auch. moral hast du zur genüge im leibe, aber sei nicht so kalt wie ein fisch, der unten in der küche auf eis liegt. mehr musst du nicht tun. lebe einfach. sei du. ich sah weg und versuchte den faustgrossen kloß in meinem hals runterzuwürgen, es gelang mir nicht. ich war weich wie butter. die tränen liefen mir die frischgerougten wangen runter und ich biss mir die halbe unterlippe auf. dolores sah mich an, nahm meine hand und drückte sie fest. ich verstehe dich, sagte sie. es darf auch dir passieren. die vergangenheit sitzt tief, das kenne ich. aber dafür wird man älter und auch weiser. ich werde claude in den servicebereich schicken, dann wird er mehr über den umgang mit den gästen erfahren. er wird dich nicht mehr durcheinander bringen, dolores verließ den raum und ich fühlte mich alleine wie noch nie.

Freitag, 13. September 2013

claude

es kam langsam der winter. draussen wurde es jedoch nicht ungemütlich. die touristen reisten ab und die stadt strahlte noch restsommerwärme aus. auf den strassen herrschte ein buntes treiben. auch im hotel. dolores hatte zwei neue mädchen unter ihrer obhut und verbrachte viel zeit mit dem anlernen. ich kümmerte mich jetzt um insgesamt drei stockwerke und scheuchte alle hin und her. die arbeit erstickte meine wünsche und meine träume. ich arbeitete wie ein esel, der vollbeladen versucht einen steilen berg hochzukommen. das kannte ich aus dem dorf. die tiere wurden fast totgeprügelt, in letzter minute schafften sie die last ans ziel zu bringen, auch wenn sie kurze zeit später drauf gingen. mein vater freute sich dann über die neue wurst, die kiloweise in jeder kammer unseres erbärmliches hauses hing und vor sich hin trocknete.
die gäste nahmen bald ein bild an, welches mich nicht mehr aus der fassung brachte. ich gewöhnte mich an deren unterschiedliche erscheinungsbilder, an ihre allüren, an ihre sonderwünsche, an ihre auswüchse, an ihre abreise, welche frühzeitig angedroht wurde, an ihre einkäufe, welche durch mehrere bedienstete in die gemächer getragen wurden, an den sex der frischverliebten im pool, an die langersehnten scheidungen der eheleute, welche theatralisch ausgelebt wurden,  wie auch die versöhnungsaufenthalte, welche so manche paare als letzte instanz vor dem weihnachtsfest einfliessen lassen wollten. kurzum, ich kannte sie alle. ich kannte die einsamen workaholics, die im zigarrendunstsitzenden einsamen schriftsteller, die auf koksunternehmungslustigen werbeleute, die investmentbanker, die dachten mit ihrem geld das gesamte hotel für einen abend zu besitzen, wie auch die durstigen hysterischen ehefrauen, welche von ihrem gatten nicht mehr beachtet wurden und in der stadt der dolce vita auf jagd gingen. mir entging nichts. und es war mir auch egal. ich war immun. jede neuerung fand die bestätigung, dass das leben hier besser war. besser war als damals. hier brachte das arbeiten mehr als das fanatische beten und heulen der frauen, als das primitive gequatsche und tabakgekaue der männer und eselsalamitrocknen wie damals auf dem dorf.
eines frühen morgens stand dolores vor mir. ich habe hier jemanden, der möchte was lernen. er soll in jeden winkel des hotels einblick bekommen. das ist claude, erklärte sie und lächelte. hinter ihr trat ein junger mann hervor. er war nicht älter als ich. aber grösser. aber nicht zu gross. seine augen tiefbraun. sein haar kurz. sommersprossen verteilten sich wild auf seiner nase und seinen wangen. er starrte mich an und reichte mir seine hand. claude, ...., ich freue mich, brachte er hervor. kühl nickte ich und drückte seine hand. sie war glatt. ich dachte dennoch nicht länger darüber nach. männer waren hier keine mangelware, ob bedienstete oder gäste. sie waren für mich anwesend, ohne dass ich mir mehr gedanken machen musste. ich wusste nicht mal mehr, wann mir ein mann das letzte mal richtig gefallen hat. kein zweifel, ich wusste es nicht. aber so bescheuert wie dolores grinste, erkannte ich, dass claude weder den männern verfallen war, noch ein triebtäter und auch kein idiot war, sonst hätte er es nicht in dieses haus geschafft.
so kam es, dass ich ihm alles zeigte. ich war erstaunt, claude war pünktlich, nicht begriffsstutzig und neugierig. er erinnerte mich stellenweise an mich selbst. zumal war er höflich und nicht aufdringlich. ich fragte nicht, woher er kam und er erzählte auch nichts über sich. er arbeitete eisern und beobachtete aus der ferne viele dinge, welche es ihm demnach erlaubten, nicht zu viele fragen zu stellen. ich war begeistert. männer waren in meiner phantasie träge, macholastig und meistens angeber. im dorf kraulten sie sich die eier und ließen sich bedienen und hatten für frauen kein wort übrig. ausser es ging um die fortpflanzung, denn nichts anderes war es für sie. da waren sie sogar mal nett, davor, aber nicht währendessen und schon gar nicht danach.
claude hatte eine weiche stimme, ohne dass er wie ein mädchen klang oder wie ein träumer. sein erscheinungsbild war gepflegt, er schien gebildet. ich fragte mich, weshalb er dieses programm im hotel abzog. konnte er sich das leisten? meine neugierde wurde gebremst, denn hier hatte ich gelernt, dass übermässige neugierde eins erreichte, und zwar kontraproduktiviät. also hörte ich auf, über claudes' hintergründe nachzudenken. er war lustig, gesellig, zuverlässig-  manchmal konnte ich mir ein lächeln nicht verkneifen. er verstand es, die gesamte mannschaft zum lachen zu bringen. im allgemeinen schien er beliebt bei den frauen. sogar bei den männern, egal, welchem ufer sie angehörten. ich mochte ihn. freute mich auf jeden neuen tag aufs neue mit ihm zusammenzuarbeiten. selbst abends im bett, dachte ich an die momente, egal wie sie ausfielen. claude war ein gewinn. und dolores behielt recht.
es war spät. ein langer, harter tag ging zu ende. ich saß alleine im aufenthaltsraum, füsse auf dem tisch und trank einen doppelten espresso. ich erwischte mich sogar dabei, dass ich eine zigarette rauchte. das kam nicht oft vor, aber das dorf lebte noch in mir, und dort rauchte ich wie ein schlot.
die türe ging langsam auf und claude schlüpfte herein. darf ich bleiben, fragte er mich leise und ich nickte. schnell nahm er sich einen stuhl und setzte sich neben mich. er fragte nach einer zigarette, welche ich ihm gab, feuer nahm er sich selbst, dann herrschte ruhe im raum. das kleine fenster zum hinterhof stand offen und ich konnte das zwitschern der spatzen hören. vielleicht waren es auch schwalben. vielleicht auch beides. ich war zu müde, um es zu entziffern. ich war nicht aufgeregt, wenn er in meiner nähe war. im gegenteil, er hatte was beruhigendes. das kannte ich allerdings nicht, was mich wiederum leicht beunruhigte. claude war ein milder schatten. wenn auch ein schöner. ja. er war schön. das musste ich zugeben. ich rauchte zu ende und wollte aufstehen. er hielt mich am arm fest. bleib, flüsterte er. ich sah ihn an. er hatte was in den augen, was ich nicht beschreiben konnte. es war kein flehen. es war auch keine macht. es war wohlwollen. ich blieb. wenn auch verdutzt. das kreischen der vögel nahm zu und ich trank den kalten rest des kaffees aus. zwischen uns war keine magie oder ähnliches. nein, es war angenehm. ohne jede spannung. ich blieb sitzen und verlor langsam das zeitgefühl.
ich wollte dir was sagen, vielmehr gestehen, sage er leise, sein blick fest auf das fenster gerichtet. ich wollte hier sein, um dir nahe zu sein, um dich, nimm es mir nicht übel, um dich fühlen zu können. das programm erlaubt maximal 6 wochen bei dolores. ich habe sie fast täglich bekniet und nun schon 10 wochen durchgeboxt. immer noch sah er aus dem fenster. doch ich, ich fühlte keine freude, keine erleichterung, keinen erfolg. ich wurde sehr nervös, fast sauer,  ich sah ihn an. er jedoch nicht mich. er rauchte zu ende und drückte dann das letzte leben der zigarette im aschenbecher tot. ich stand auf. ich merkte, wie sich meine eingeweihte mit aller macht gegen gefühle wehrten. wie meine gedanken sich wehrten, ganz zu schweigen vom herzen, welches mir bis zum kopf schlug. verdammte scheisse, dachte ich. hörte das nie auf. was war mit den menschen nur los? was sahen sie in mir? was wollten sie nur von mir? ich flüchtete hierher um zu arbeiten, um das bescheuerte geld zu verdienen, um auch endlich meine niedere herkunft zu vergessen, ich wollte nicht herkommen, um bewundert zu werden, um auf meine mögliche schönheit angesprochen zu werden, nicht um begehrt zu werden. ich wollte einfach nur entkommen und leben. was ist passiert? tag für tag sah ich leute, wie sie hier verkehrten, arbeiteten, sich trafen, sich liebten, all das sah ich. ich sah die unterschiedlichkeit der menschen. ich sah was schnell kam und wieder ging. was sollte also nun gefühl an dieser stelle. ich musste husten. tränen schossen mir in die augen. mit weit aufgerissenen augen sah ich claude an. meine blicke waren tödlich. das hoffte ich zumindest. was erzählst du mir da, knurrte ich. die wahrheit, und du kannst sie wohl nicht vertragen, gab er zu, aber ich meine es ernst. du bist nicht die erste frau in meinem leben. aber du hast das was andere definitiv nicht haben, seine stimme war fest, obwohl ich fühlen konnte, dass er innerlich bebte. du kannst dich dagegen wehren wie du willst, es ist eine tatsache, dass du mir gefällst und mich durcheinander bringst, dann stand er auf. fast fiel der stuhl um. er verliess den raum. ich konnte meine tränen nicht zurückhalten und weinte. das hatte ich sehr sehr lange nicht mehr.

Sonntag, 8. September 2013

domenica


Sonntag, 25. August 2013

meister angelo

ich hatte einen freien tag. dolores hatte mich schon lange genervt, dass ich meinem naturkrausem haar einen schnitt schenken sollte. ich hatte keine lust was zu verändern, denn während meiner arbeitszeit trug ich die haare ohnehin zum knoten. und wenn ich abends erschlagen im bett lag, so waren mir fünf oder zehn zentimeter weniger oder mehr tatsächlich egal. bitte geh dahin, dolores hielt mir eine karte unter die nase, du wirst spass haben, um den rest kümmere ich mich. so ging ich zum ersten mal im leben zum friseur. die adresse glich einem palast mit bodenlangen fenstern und viel mamor. zwei duzend stühle aus chrom und leder brachten eine schönen kontrast in den historischen raum. riesige durchsichtige vasen mit lilien standen auf den tischen und im hintergrund lief mozart oder bach. ich wusste es nicht genau. bald saß ich zwischen vielen frauen, vielen handtaschen und viel rotem nagellack auf einem der bequemen stühle. der meister war ein bekannter mann in der stadt. dolores schickt sie, welch freude, ich bin angelo, sang er vor sich hin, reichte mir erst seine dickliche hand und gleich danach ein glas champagner. sie haben wunderschönes haar, umwerfend, trällerte er in höchsten tönen und grub seine hände tief in meine locken, seine tätowierten augenbrauen kamen vor begeisterung nicht mehr zum stillstand, obwohl die stirn durch botox komplett lahmgelegt wurde. haben sie wünsche, gnädigste, fragte er in einem erwartungsvollem ton, dabei hielt er seinen kopf dicht neben meinen und wir sahen uns beide im spiegel an. sein erscheinungsbild ähnelte einer überholten form von elvis. das haar war zu einer schwarzgefärbten tolle gezimmert, seine jeans eng und das hemd aus seide war ordentlich darin untergebracht. der gesamte palast roch nach moschus und haarlack. etwas benommen trank ich in zwei zügen meinem champagner leer, was zu noch mehr schwindel führte. ich habe keine ahnung was mir steht, sagte ich und der meister sprang mit einem satz zur seite. dafür bin ich doch da, gnädigste. er lächelte und nahm erneut meine hand. seine stirn bewegte sich nicht. nichts bewegte sich. ich lächelte gequält zurück. sie sind wunderschön meine liebe, das wissen sie schon oder, sang er weiter und versuchte mein haar in form zu bekommen. ich sah in den spiegel. und sah wieder weg.
es wurde ein waschbecken heran gerollt, ich in die waagrechte befördert und ein junger mann namens nikolai wusch mir die haare. das warme wasser war angenehm. auch die massage. trotzdem lag ich sehr verkrampft da. die reichen und schönen waren hier und mittendrin auch ich. was hatte dolores sich dabei gedacht? wollte sie mich fertigmachen? was hatte das mit mir zu tun? jahrelang schnitt ich mein haar selbst. auch zupfte ich mir die augenbrauen und keiner hat sich jemals beschwert. ich mache ihnen noch eine vitaminhaarkur ins haar, flüsterte nikolai und ich zuckte mit den achseln. nachdem ich mit einem turban aus edlem frottee wieder aufrecht saß tanzte angelo wieder heran. ich hatte ohnehin keine chance und ließ ihn machen. beobachtete im augenwinkel die anderen kundinnen, welche hochglanzmagazine blätterten, champagner tranken und ihre kinder oder ihre pudel kraulten. ich schloss die augen. dolores, dolores du treibst es tatsächlich weit mir mir, dachte ich. nach einer gefühlten ewigkeit öffnete ich wieder die augen und sah in den spiegel.
ich sah eine frau. 28 jahre alt. sie hatte helle haut. paar sommersprossen auf der geraden nase. hohe wangenknochen. grasgrüne augen und lockige braune haare. der mund hatte volle lippen. sie öffnete sie und ich erkannte eine kleine zahnlücke. die augenbrauen gaben dem gesicht einen rahmen. die frau, die ich sah, war ich.
bravissimo, angelo trat einen schritt beiseite. ganz wunderbar, ausgezeichnet, klatschte er in seine dicken hände. dann nahm er ein taschentuch und tupfte sich die stirn ab. gnädigste, wir haben sie geschminkt, ihre brauen nachgetönt, auch ihr haar. die farbe heisst siena. ist das nicht wunderschön, gierig griff er im haar herum. ich konnte nicht glauben, dass ich die frau im spiegel war. aber ich war es. und ich war schön. schöner als dieser ganze haufen frauen hier, welche sich mittlerweile an meiner einfachen kleidung und den turnschuhen ergötzten. ja, ich war schön. sehr schön sogar.
nach ein paar haarsprayaktionen verließ ich den palast. und war dolores sehr dankbar.

Donnerstag, 22. August 2013

mitternacht

der sommer ging zu ende. die tiefe sonne verfing sich in den häusern und der touristenstrom nahm langsam ab. im hotel herrschte beste laune. die zeit der geschäftsbesuche brach an. ein jahr war ich nun schon hier.
ich hatte mittlerweile ein zimmer für mich alleine, arbeitete nur noch zwei schichten und hatte einen abendlichen sprachkurs belegt. das dorf hinter mir wurde immer kleiner. ich schickte immernoch geld an meine mutter, immernoch verschwendete ich keine worte. auch hatte ich keinen kontakt zu meinen schwestern. ich wusste, dass sie da nie rauskommen würden und das trennte mich emotional von ihnen.
dolores ging oft kurz vor mitternacht im hotelpool schwimmen. es durfte nur kein gast mehr anwesend sein. irgendwann kam ich mit. wir schwammen paar runden und legten uns auf die grossen liegen. so lagen wir da und redeten. dolores lebte für das hotel. lebte für das wohl der gäste. lebte für ihre zimmermädchen. das ist meine berufung, sagte sie lächelnd. ich war in gedanken. warum hast du keinen mann, fragte ich sie. sie sah auf das wasser und schwieg. dann redete sie über das wetter und über die neuen gäste. sie redete über zwei angestellte und über die bestellte bettwäsche. dann stand sie auf und verschwand. ich blieb liegen. dolores was zu fragen war grundsätzlich ein fehler. ich vertiefte mich in meine tageszeitung. dann hörte ich schritte. ich dachte dolores hatte was vergessen und blickte auf. eine frau betrat den schwimmbereich. sie kam barfüssig herein eingewickelt in einen dicken bademantel. sie blieb am rand des pools stehen, öffnete ihren bademantel, liess diesen zu boden fallen. darunter war sie nackt. schnell machte sie einen sauberen kopfsprung ins wasser. sie nahm sechs bahnen und pausierte anschliessend am rand. da ich nicht wusste, ob sie mich überhaupt wahrgenommen hatte, versteckte ich mich hinter meiner zeitung. schlafen sie hier, frage sie mich. ihre stimme war sehr dunkel.  ich lugte hinter der zeitung hervor und schüttelte den kopf. sie kam aus dem wasser. ich sah weg. ihre nacktheit irritierte mich. was machen sie dann hier, wollte sie wissen und kam auf mich zu. ihr langes haar war nass und tropfte meine liege voll. ich entspanne mich, sagte ich. sie lächelte. ich kann nicht schlafen, also schwimme ich bis ich müde bin, sagte sie. sie drehte sich um. ihr körper war makellos. mein blick fiel auf meine beine. niemals, niemals waren sie so lang und gerade wie ihre. sie zog den bademantel wieder über. ich weiss wer sie sind, lachte sie, sie sind das zimmermädchen. ich fühlte einen stich in meiner brust. ich habe sie gesehen, gestern und heute. und wissen sie was? sie bewegen sich wie eine tänzerin. sie tanzten praktisch den gang entlang, wie in einem musikvideo, erzählte sie weiter. ich spürte den blutstrom in meinen wangen ankommen. hey, da brauchen sie gar nicht rot werden. es ist wahr. sie sind klasse, scheisse ich hätte gerne ihren rhythmus, rief sie. paralysiert blieb ich liegen, die zeitung klebte schon an meinen händen. dann kam sie wieder auf mich zu, kniete sich auf meine liege und berührte sachte meine knöchel. lady, sie müssen tanzen. ich tanze seit ich vier jahre alt bin. ich habe ahnung von dieser folter. aber bei ihnen ist es ihre natur. sie sollten rausgehen und menschen damit glücklich machen. vor allem werden sie selbst glücklich damit. erwartungsvoll sah sie mich an. meine unsicherheit konnte ich nicht verstecken, ich starrte meine beine an. sie stand auf und lief zur treppe, hob, ohne sich umzudrehen ihre hand und winkte. wir sehen uns auf der bühne, lachte sie. dann wurde es leise. grandioser auftritt den sie da hingelegt hat. sie glänzte immernoch, obwohl sie schon lange weg war. welch eine wunderschöne person. und ich konnte tanzen? wieso erzählte sie so einen blödsinn? gehörte das zu ihrer performence? am liebsten hätte ich mich versteckt. noch unter dieser nassen zeitung. ich schämte mich meiner herkunft. eben ganz besonders. auch glaubte ich nicht, dass ich überhaupt was gut konnte. ihre komplimente stachen in meiner brust. nicht mal gott konnte mir helfen. das hotel war mein rettungsanker, ja, und ich war schon ein jahr hier, aber dennoch war ich sehr angreifbar. das war eine tatsache. das dorf saß tiefer als ich dachte und ich musste es mir eingestehen.
es war drei uhr morgens. ich hoffte, dass sie jetzt schlafen konnte. zumindest konnte ich es in dieser nacht nicht mehr.

Donnerstag, 15. August 2013

die männer

in dieser nacht fand ich keinen schlaf. ich rollte mich durch das bett und fiel fast heraus. ich schwitzte und dachte eine krankheit würde mich überfallen. ich schloss die augen und sah den blinden mann noch vor mir. ich hörte seine stimme. sah seine lippen, welche vom bart fast verschluckt wurden. normalerweise sehe ich männer nicht. das habe ich auf dem dorf gelernt. die männer waren meist laut und dreckig. es gab keinen anstand und wenig moral. die männer hatten das sagen. sie nahmen sich was sie wollten. frauen, vieh und rauchten stinkende zigaretten. so war mein vater. und meine brüder waren genauso wie mein vater. laut und armselig. ich bekam nie ein nettes wort zu hören und wurde oft verprügelt. ich ekelte mich bald vor männern.
für mich sind sie gestorben. erst seit ich hier arbeite, sehe ich, dass es noch andere männer gibt. hier wurde den frauen die türe aufgehalten, gepäck getragen, stühle von tischen weggerückt, damit sie sich setzen konnten. und ich rede nicht von den männern, die hier arbeiten. aber diese frauen waren auch reich und schön. es war kein wunder, dass ihre männer sie gut behandelten. naiv zu denken, es würde allen frauen so gehen. aber ich glaube daran. tief im inneren.
dieser blinde mann sah mich nicht mal und hatte respekt. das machte mir fast angst. ich mochte den geruch, noch bevor ich ihn zu gesicht bekam. so dachte ich an ihn bis die nacht gegen frühen morgen ein ende nahm und ich aufstehen musste. stumm saß ich im aufenthaltsraum und der kaffee schmeckte mir nicht. ich zerpflückte das croissant und  ließ es schliesslich liegen. von was träumst du, dolores stieß mich in die seite. ich sah weg. oje, du wirst dich doch nicht in einen gast verguckt haben, lächelte sie. ich schüttelte den kopf, mir war nicht nach lachen. ich wusste selbst nicht was los war. irgendwas in mir ist aufgewacht. und dolores konnte ich auch nichts vormachen. ich trank den mittlerweile kalten kaffee aus und machte mich an die arbeit.

Sonntag, 11. August 2013

francois

allmählich gewöhnte ich mich an den hotelalltag. gäste kamen und gingen. mit ihnen gepäck, geruch und persönlichkeit. meine passion, die menschen anhand ihrer eigenheiten zu entdecken und diese entdeckung auszuleben, geriet langsam aus meinem fokus. ich erledigte meine aufgaben und nur bei besonderen gästen tauchte ich in meine tagträume ab.
es war montag, ein heller vormittag, drei räume hatte ich noch auf der liste. ich betrat die juniorsuite. als ich die türe öffnete kam mir eine welle, eine art frische brise entgegen. es roch nach meer, salz und algen. etwas benommen machte ich mich an die arbeit. nachdem alles erledigt war, legte ich mich kurz auf das bett. ich rollte mich zusammen und drückte meine wange in das kissen. ganz vorsichtig atmete ich tief ein. trotz der frischen wäsche nahm ich meerwasser und salz aus dem atlantik wahr.
ich weiss, sie müssen mich für verrückt halten, vielleicht bin ich es auch. mich während meiner arbeitszeit  in das bett eines gastes, ja, eines fremden zu legen und an seinem kopfkissen zu riechen. es klingt tatsächlich verrückt. aber ich verrate ihnen etwas. ich fühlte mich geborgen. ich fühlte mich sicher. es war, als würde mich jemand umarmen. ich kannte dieses gefühl. es war schon lange her. es war, als meine grossmutter noch lebte. sie nahm mich in ihre arme, als ich noch klein war. danach spürte ich das nie wieder. aber jetzt fühlte ich mich, als würde mich jemand an sich drücken. so lag ich da. auf dem kingsizebett. in meiner putztracht. mit weissen turnschuhen. meine haare zu einem kleinen knoten gezwungen.
plötzlich schreckte ich hoch. ich musste eingeschlafen sein. ich sah zu tür. ein mann kam herein. er war nicht alt. nicht wirklich jung. er war gross. sein haar fiel weich in den nacken, und er trug einen bart, sodass ich von seinem gesicht nicht viel sehen konnte. mich irritierte sein blick. er sah mich an. doch sah er durch mich hindurch. wer sind sie, fragte er. seine stimme war angenehm. sie passte zu diesem duft im raum.
ich fuhr hoch und ordnete das zerdrückte bett, dann meine tracht und meinen haarknoten. er kam langsam herein und hielt sich im letzten moment am türrahmen fest. mir fiel ein edler gehstock in seiner rechten hand auf. ich kann sie nicht sehen, sagte er. ich kann überhaupt nichts sehen, verstehen sie? sind sie das zimmermädchen, er sah mich an. erst wollte ich nicht antworten, was idiotisch war. ja, ich bin das zimmermädchen, stieß ich hervor.
er verließ den türrahmen und bewegte sich stück für stück auf mich zu. seine schuhe waren aus feinem, braunem wildleder und der weiche teppich gab sachte unter ihm nach. dann blieb er stehen und schloss die augen. ich frage mich schon die ganze zeit, welches der zimmermädchen hier so gut riecht, flüsterte er. verunsichert stand ich im raum. ich wusste, dass das gehen jetzt ein fehler gewesen wäre, doch war das bleiben auch einer, wenn auch ein höflicher. wie heissen sie, noch immer waren seine augen geschlossen. um ihn herum versammelte sich der duft von meerwasser und limone in einen wirbel, welchem ich kaum entrinnen konnte. milia, sagte ich. er hielt inne und richtete sich auf. das stimmt nicht, sagte er. erstaunt sah ich hoch. sie müssen ihn mir auch nicht verraten, das ist in ordnung. ich bin francois. er streckte mir seine hand entgegen, ohne dabei die augen zu öffnen. sie war mittelgross und feingliedrig. zögernd gab ich ihm meine. sein handteller war kühl, aber nicht kalt. er drückte meine hand nicht, sondern glitt langsam hinein, bis er sie fester im griff hatte. ein unbekanntes gefühl von wärme stieg in mir hoch. ich erschrak. nun muss ich gehen, sagte ich nach einer weile und ließ seine hand los. kommen sie wieder, wollte er wissen. ich nickte, und wusste dass er es nicht sah, aber er lächelte. ich verliess den raum. die türe fiel schwer hinter mir zu und ich drückte mich mit dem rücken fest dagegen. mein herz schlug bis zum kopf.  ich rang nach luft. und schluckte. ich schluckte den atlantik runter. auch seine stimme. die kühle wärme seiner handinnenfläche. ich lief los. schnell. noch schneller. die weissen turnschuhe waren genau das richtige für diesen job. ich lächelte. dann sah ich hoch. wollte wissen, ob gott mich anschaute. er tat es nicht. alles war in ordnung.

Montag, 5. August 2013

die stadt

es war schon spät, die temperaturen versprachen einen langen sommer und die strassen schienen durch das licht in gold getaucht zu sein. meine schicht endete gerade. ich ging in die stadt. die vielen menschen in den gassen ließen die altstadt aufleben. ich dachte nach. die gute foresta hatte recht. ich fragte mich, was ich tatsächlich vom leben wollte. bis jetzt war mir vieles egal. hauptsache der verdienst war gut und ich konnte meine tägliche, fast schon voyeuristische arbeit sauber verrichten. ich wollte irgendwann besser leben. besser als die frauen in meinem dorf. nie wollte ich so ein jämmerliches dasein wie sie haben. sich tagtäglich kleinmachen, in stinkende töpfe schauen und das ave maria hoch- und runterbeten, um endlich erhört zu werden. ich hatte es satt. hier konnte ich mich zumindest frei bewegen und gott blieb dennoch bei mir. im hotel schätzte man mittlerweile meine arbeit sehr und ich wurde auch offener den leuten gegenüber. eine schauspielerin nannte die foresta mich. eine zeitzeugin. sie merkte wohl, dass ich alles abscanne und abspeichere, um mehr über die menschen zu erfahren. von mir erfuhr man nichts, aber ich, ich wollte alles wissen. vor allem die menschen im hotel interessierten mich. hier draussen war das leben zwar bunter, aber es war nicht so anspruchsvoll. im hotel war es intimer und auch unantastbar. die gäste waren die könige, aber wir, die bediensteten, hatten alles in der hand. die stadt war so gesehen kein magnet für mich, ich war nicht angehalten in cafés zu sitzen und zeitung zu lesen. ich wollte keine museen besuchen und auch keine rundfahrten machen.  ich wollte was leisten. geniessen konnte ich später, sagte ich mir immer. dolores hatte es auch so gemacht. sie hatte nicht mal familie. das grand hotel ist meine familie, lachte sie. ob sie tatsächlich damit glücklich war, war fraglich. mir kam es nicht auf glücklichsein an, ich wollte einfach nur raus aus dem bisherigen sumpf.
auf den stufen der piazza war es noch warm. um mich herum rannten kinder und aufgescheuchte eltern umher. engumschlungene verliebte zogen vorbei und verrunzelte pärchen posierten fröhlich vor einer fotokamera. jugendliche lachten & schrien und vereinzelt fanden sich auch einsame träumer auf den stufen wieder. so wie ich. aber ich spürte gefallen an meiner einsamkeit. die wilde huperei der vespas nahm zu und winzige autos zwängten sich durch die kleinen gassen. langsam begab ich mich auf den weg zurück. nein, die stadt war tatsächlich nicht meine welt. dieses zeitzeugnis konnte ich also nicht unterschreiben liebe signora foresta.

Samstag, 3. August 2013

signora foresta

sie kam in einem elfenbeinfarbenen rolls royce. das grand hotel zitterte bei jeder ihrer anreise. in der lobby versammelten sich der hotelmanager, der stellvertretende hotelmanager, dolores als 1. hausdame, der revenuemanager, die restaurantleitung & noch paar, welche ich nicht erwähnen brauche.
sie bewohnte die suite in meinem stockwerk. dolores persönlich hat alles gereinigt und in letzter sekunde noch die lieblingsblumen der signora foresta besorgt, die italienische und die japanische vogue, einen hochkonzentrierten lavendelduft und in der bar wurden zusätzlich zwei flaschen gin bereitgestellt. es fehlte an nichts und dieses tagelange theater um diese person hatte mich neugierig gemacht. ich konnte mir nicht im geringsten vorstellen, was für eine art von frau das sein sollte. ein monster, sagte dolores. eine unzufriedene primadonna, erzählte sie weiter, niemand mag sie, jeder hat angst vor ihr.
meine schicht fing am nächsten tag sehr früh an. ich wollte nicht aufstehen, dann fiel mir ein, dass ich gegen elf uhr die suite der gefürchteten dame mit bearbeiten durfte. sofort fühlte ich mich wohler. schliesslich wollte ich doch wissen, wie eine primadonna so lebt.
wir hatten alle glück. die foresta wurde zu einem bankett geladen, so verliess sie vor mittag noch das haus. dolores rief an, dass ich mit noch drei anderen bewaffnet die suite übernehmen konnte. ich gab es nicht weiter und steuerte zunächst alleine auf die suite zu. als ich die türe öffnete erstickte ich fast im lavendel- und lilienduft, drei räume wurden gar nicht genutzt, sie lag wohl seit gestern nur im bett. ihre kleidung lag zerstreut im ankleidezimmer, neben dem bett stand eine fast leere flasche gin, eine schlafbrille und herrenlose zeitungsblätter. sie hatte solch ein apfelteil, so einen ipod. paar blütenweisse kopfhörer hingen dran und ich hörte rein. es wimmerte mir eine oper ins ohr, ich hatte keine ahnung davon, doch bekam ich sofort eine gänsehaut. ich sah mich im badezimmer um. sie nutzte eine duschhaube, obwohl ihr friseur mitreiste. ich fand einsame wattebäuschen in der toilette, alle handtücher auf dem boden, chanel no.5 und drei lockenwickler in einem der waschbecken, ein seidener morgenmantel in nachtschattenblau hing an der türe, darunter ein schwarzer ein spitzenBH der grösse 80C. ihre pumps fand ich auch im badezimmer und paar nylons. auf dem sekretär lagen noch persönliche dinge herum, wie eine kreditkartentasche und ein armband. es sah sehr kostbar aus. daneben befand sich ein portemonnaie aus feinstem schwarzen ziegenleder. ich öffnete es. darin fand ich sich zwei bilder. eines war eine schwarzweissaufnahme, an den rändern gewellt und vergilbt. es war ein mann abgebildet. er hatte schwarzes, seitengescheiteltes, kurzes haar und buschige augenbrauen. das andere foto war vergleichsweise neu. eine farbaufnahme zeigte einen jungen mann, auch mit dunklem haar und grünen augen. er lächelte. ich drehte beide bilder um, das vergilbte zeigte eine jahreszahl, 1957 konnte ich entziffern, mit blauem füllfederhalter geschrieben. das andere trug nur einen namen, stefano, auch mit blauem füllfederhalter geschrieben. schnell steckte ich beide fotos wieder zurück. der lavendelgestank wurde unerträglich. ich öffnete die balkonfenster und rief die anderen mädchen an. jetzt konnten wir anfangen.
zwei stunden später erschien dolores, um nach dem rechten zu sehen. habt ihr auch an den balkon gedacht? da draussen sind mindestens fünf gefüllte aschenbecher. sie raucht wie ein schlot, dolores verdrehte die augen. ich war gedanklich noch mit den fotos beschäftigt, dass ich nicht mal bemerkt habe, dass die foresta eine kettenraucherin war. die aschenbecher waren tatsächlich randvoll. sie raucht nicht nur, sie trinkt auch gerne, dolores zeigte auf die 3 ginflaschen in der minibar. es war mir egal, was dolores von ihr hielt. es war mich auch egal, ob sie eine erbin einer sehr bekannten bank italiens war, ich würde sie gerne sehen die signora foresta, vor welcher das hotel tierisch schiss hatte. irgendwas musste sie doch haben ausser geld. was war es nur? wenn dolores was nicht erzählte, fragte ich auch nicht danach. das habe ich in diesem haus gelernt. es werden keine fragen zu den gästen gestellt. man wird aufgeklärt, auch manchmal gewarnt, aber fragen braucht man dann keine mehr zu stellen. der gast ist wie er ist. und er ist könig.
gegen späten nachmittag erschien die foresta mit ihrem gefolge und verzog sich schnell in ihre suite. ich hatte den eindruck dass fast alle den atem anhielten, solange sie bei uns war. alle schlichen um die suite herum und schauten besorgt die tragbaren telefone an. jeder wusste, dass sie in der lage war blitzschnell die suite zu wechseln, wenn nur eine einzige kleinigkeit nicht stimmte. es stimmte tatsächlich etwas nicht. die foresta wollte eine andere suite. der zimmerservicemanager gab es kommentarlos an dolores weiter. es brach stille hektik aus. aber nicht in mir. ich lächelte. vielleicht verloren die lilien zu schnell ihre blätter, vielleicht war die suite um ein grad kälter als gestern oder die foresta ist auch fast am lavendelduft erstickt. sie wusste was sie wollte die foresta. etwas drama tat uns wohl allen gut. wir rechneten ja schon damit. wir wurden aufgefordert, ihre sachen in die suite im gegenüberliegenden flügel des hotels zu bringen. dazu holten wir eine rollbare gepäckstange, welche uns das tragen vereinfachte. da sie ein weiblicher gast war, war es üblich, dass die hausdamen den umzug vornahmen. ich fragte mich, was nicht gestimmt hatte. bestimmt würde ich es bald erfahren. dolores war verärgert, weil alles in bester ordnung war. als ich die suite betrat saß die foresta noch auf dem balkon. sie rauchte und telefonierte. ich verstand kein wort. nachdem ich paar sachen auf die gepäckstange gehängt hatte, kam sie herein. barfüssig. der nagellack in koralle. ihre braunen beine waren wohlgeformt, doch ziemlich in die jahre gekommen. sie trug ein seidenkostüm in hellem beige. das haar war schulterlang, dunkelblond gefärbt und hatte lockige enden. ihr gesicht war jünger als ihre beine. keine falte. nicht mal der zorn verirrte sich da. ihre augen waren kühl, aber nicht kalt. ihr mund etwas verkniffen. aber auch mit korallenfarbe geschmückt. sie war nicht gross. und sie beachtete mich nicht weiter, sondern huschte mit ihrem mobiltelefon durch das zimmer, hinter ihr her eine wolke der üblen zigarettenmarke. es ist soweit signora foresta, sie können jetzt gerne die anderen zimmer beziehen, dolores setzte ihr künstlichstes lächeln auf. danke, die foresta verschluckte sich fast an diesem wort und verliess barfüssig den raum. im gang hörte ich sie wieder telefonieren. die frau hatte stil und wusste um ihre macht. soviel war klar.
wenige augenblicke später war alles untergebracht und die foresta hatte noch etwas zeit, bis sie wieder im hotelrestaurant auftauchen musste. so konnte man frisches wasser aufs zimmer bringen, lüften und in ihrem fall auch nach dem gin schauen.
in aller seelenruhe erledigte ich diesmal alles. gerade war ich in einem ihrer badezimmer, als plötzlich die türe aufschnappte und die foresta ihre suite betrat. ich zuckte zusammen, schnell kam ich mich aus dem badezimmer. ich sah sie an und bevor ich sie begrüssen konnte, winkte sie seufzend ab und ging auf den balkon. ein windstoß der ekelerregenden zigarettenmarke erfüllte sofort den raum. sie saß draussen und rauchte. die beine auf dem tisch, neben ihr ein glas gin. es war kurz nach sieben uhr abends. die sonne brannte noch und langsam wachte die stadt auf. ihre pumps lagen auf dem boden, auch ihre kleine handtasche aus gold.
ich trat zu ihr um sie zu fragen, ob sie noch wünsche hatte. sie sah in die ferne und schüttelte langsam den kopf. dann sah sie mich an. weshalb bist du ein zimmermädchen geworden, fragte sie, du siehst aus wie eine schauspielerin. ich schluckte. da brauchst du gar nicht so zu schauen meine liebe, es gibt nicht viele, die hier aus der reihe tanzen, du schon. sie trank noch einen schluck, du bist doch nicht hier, um tatsächlich meinen scheiss wegzuräumen, du bist hier, weil du mehr über die menschen wissen möchtest. eine zeitzeugin sozusagen. stimmt doch was ich sage, wild fuchtelte sie mir ihrer zigarette herum, dann umfasste ihre hand das glas und mit einem zug war der inhalt verschwunden. dann sah sie wieder in die ferne. ich fühlte mich ertappt und sagte kein wort. die foresta auch nicht. so verging eine gefühlte ewigkeit. glaub mir schätzchen, ich war auch mal ganz woanders. nie hätte ich gedacht, all das zu mal haben. aber alles hat seinen preis. und der kann sehr schmerzhaft sein. sie drückte die zigarette aus, welche komplett heruntergebrannt war. mit einem ruck stand sie auf. fischte nach ihren schuhen und ihrer handtasche und ließ mich alleine auf dem balkon zurück. so stand ich da, bis ich das brennen der sonne nicht mehr spürte und das piepen meines telefons in meiner putztracht nicht mehr hörte.

Montag, 29. Juli 2013

dolores

wenn man sich richtig darauf einlässt, hat man bald kein privatleben mehr. nicht viele können hier arbeiten und leben. disziplin steht an oberster stelle. es ist kein abenteuer, sondern ein neues leben, prüfend sah mich dolores an. ich nickte. genau das wollte ich.
so kam es, dass ich ein winziges zimmer im grandhotel bezog. die ersten monate teilte ich dieses mit der anderen neuen. das gehörte zum einarbeitungsplan. wir verstanden uns gut. dolores war streng. die einarbeitung hart. ständig hatte sie neue aufgaben für uns. sie schimpfte. verdrehte augen. stampfte wütend mit dem fuss den weichen teppich unter sich platt. liebe damen, sagte sie oft, haben sie schon was davon gehört, dass staub und fingerabdrücke die natürlichen feinde eines jeden hotelzimmers sind? ihr müsst arbeiten wie diebe. ohne spuren zu hinterlassen, versteht ihr? die einzige spur ist die sauberkeit. alles klar? sie sah uns an. wir grinsten. dolores war fair, wenn auch hart. vor ihr hatte ich mehr respekt als vor meiner eigenen mutter. abends lag ich dann in meinem bett auf dem zimmer, sah die decke im dunkeln an und dankte gott, dass er mich hergebracht hatte.
mittlerweile scheute ich mich nicht und holte täglich zeitungen aus der lobby. ich erfuhr immer mehr über das land, in welchem ich nun lebte.
wenn ich meine zimmer auf dem stockwerk säuberte, so tauchte ich in eine ganz andere welt. roch heimlich an den kopfkissen der gäste. wusch mir die hände mit deren duschöl und hielt mir die seidenkleider der damen an, wie auch die krawatten der herren. ja, ich träumte davon ein gast zu sein. reich und schön. ich war nicht naiv, ich wusste, dass es nie so weit kommen würde, aber genau deshalb träumte ich davon. die gäste waren meist kurzreisende. viele geschäftsleute. sie kamen aus allen ecken der erde. manche benahmen sich wie schweine. alles war verdreckt. manchmal ekelte ich mich auch, aber schlimmer als auf dem dorf, aus welchem ich kam, war es nie. am schönsten war es, wenn ein neuer gast kam. da ich fast nie einen zu gesicht bekam, konnte ich mir nur in meiner phantasie ausmalen, welch ein mensch das zimmer gerade bewohnte. am anstrengendsten waren paare. dolores fluchte zum himmel. die zimmer sahen manchmal aus wie nach dem 30-jährigen krieg. sie stritten und vögelten. beides konnte man sehen. hier und da fanden sich noch damenhöschen irgendwo im zimmer, obwohl die damen schon längst abgereist waren. manchmal fand ich geld unter der matratze und alte stofftaschentücher. ab und zu machte ich eine pause und traute ich mich in die lobby, besorgte mir einen pfefferminztee und stand im sicheren abstand zum eingang. da reisten sie an. in limousinen. mit wagenladungen voll lederkoffer, mit wehendem haar und mit einem mann, der ihnen hinterherhechelte. manchmal war es auch umgekehrt. da waren die damen diejenigen, die den männern hinterher schlichen. die herren versprachen sich wohl lange nächte, während die damen eher an kreditkarten und am hotelmasseur interessiert waren. auch das war gang und gebe hier. ein riesiger kochtopf mischte alle und kochte leise vor sich hin. einerseits amüsierte mich das ganze, andererseits fand ich es schade. ich verzog mich zurück auf mein stockwerk. meine phantasie wollte das anders sehen. das leben ausserhalb des hotels war mir sowieso mittlerweile egal.
träum nicht so viel, sagte dolores. du machst deine arbeit gut, aber bleib hart dabei. das leben ist kein wunschkonzert. und ich wusste, dass sie recht hatte.

Mittwoch, 24. Juli 2013

in einem hotel

ich war arm. also musste ich in die grosse stadt abhauen. ich hatte nie was gelernt und so ungebildet wie ich war, waren mein aussehen und mein fleiss meine einzigen waffen, um an die reichen und schönen zu kommen. der rest war mir egal. schnell lernte ich, was make-up und nagellack waren und wie man sich damit sorgen wegschminken konnte. ich lernte was hohe schuhe mit meinen beinen machten und wie man weisse zähne bekam, ohne sie öfter putzen zu müssen. ich fing erst an zu atmen, als das dorf beim wegfahren hinter mir immer kleiner wurde.
die grosse stadt war abweisend. ich fühlte mich alleine. ich sprach oft mit gott, denn er war der einzige der mich verstand und immer bei mir war. ich suchte arbeit und landete in einer wäscherei, welche hotels mit frischer wäsche belieferte. die bezahlung war gut. die arbeit sauber. es war sehr heiss, meist über 40 grad, vor allem im sommer. es waren viele frauen dort. alte. junge. schöne. hässliche. ich redete nicht viel. passte mich an. es war mir egal. mich interessierte nur das geld. ich konnte mir ein zimmer leisten. in einer schlechten gegend, aber auch das war mir egal. bald wurde in der wäscherei bekannt, dass zwei frauen gesucht wurden. sie sollten im grand hotel fest angestellt werden. ich betete zu gott. grand hotel.  ich träumte von  hotelzimmern mit weisser geruchloser bettwäsche, von teppichen, welche wunderbar nachgaben, wenn man drüber lief, von duschen, die gross waren wie mein zimmer und von kaffee, der morgens auf dem silbertablett serviert wurde. da wollte ich hin.
zehn tage später hatte ich die stelle bekommen. dort wimmelten sie. die schönen und reichen. bei mir auf dem dorf gab es viele schöne frauen. sie ließen sich kinder machen. drei, vier und mehr und blieben auf ihren fetten hintern in schäbigen häusern sitzen. wie oft sie auch beteten und in die kirche rannten, es nutzte nichts. sie blieben arm und wurden auch noch oft geisteskrank. deshalb bin ich weg. ich wollte mich nicht unterwerfen und irre werden. in der grossen stadt war ich zwar nur eine nummer oder ein rädchen. sie wissen was ich meine. hier ist alles anonym. das hat mir gefallen. auf dem dorf war man ja auch ein nichts. auch im hotel. hier war man nur eine von vielen. aber viele fleissige gab es nicht, auch nicht viele schöne. ich arbeitete tagschicht. nachtschicht. ich sparte das geld, schickte ab und zu was zu meiner mutter ins dorf. schickte aber keine worte dazu. mir war wohler dabei ihr nichts zu sagen. ich wollte zimmermädchen werden, nicht nur, um die dreckige wäsche der reichen zu waschen, sondern auch zu sehen wie sie lebten. ich wollte in diesen zimmern barfüssig rumlaufen, das parfüm der gäste riechen, über die edlen kleider streichen und ihre musik hören.
als die nächste ausschreibung anstand, machte ich mit. ich habe meine sprache aufgebessert, indem ich die veralteten zeitungen der hotellobby mitnahm und nachts las. ich hörte verschiedene kulturelle radiosender, um mehr über die welt zu erfahren. einen fernseher konnte ich mir nicht leisten. ich kaufte drei bücher. und ich betete jeden tag. an einem abend, kurz vor der nachtschicht, kam der zimmerservicemanager . ja, der zimmerservicemanager. welch ein komischer name, nicht wahr? ich fand ihn eklig und arrogant diesen kerl, aber an ihm musste ich vorbei.  in seinem büro war es kühl und er fragte mich, weshalb ich zimmermädchen werden wollte. ich sprach von fleiss und meiner weltoffenheit und hoffte, dass gott noch bei mir war. der zimmerservicemanager nahm das ende des dicken füllfederhalters kurz in den mund und sagte mir dann, dass wir es mit mir probieren würden. mein herz zersprang. doch zeigte ich es nicht.
einen tag später wurde mir eine frau vorgesetzt. sehr klein. sehr rund. mit einem ruhigen blick. ihre hände sahen samtweich aus. über zwanzig jahre sei sie schon hier. sie sollte mich anlernen. so lernte ich dolores kennen.

Sonntag, 21. Juli 2013

sommer

das gras wirkt durstig als ich drüberlaufe. der himmel ist tiefblau. es ist halb sieben abends. in regelmässigen abständen rascheln vom wind angehauchte trockene blätter.
schweissbächlein verschwinden in meinen kniekehlen& ich suche wolken am himmel. die luft ist würzig, trocken& rein.
ich schliesse die augen. die stadt macht eine pause. es ist leer auf den strassen. nur die hitze glitzert. die sonne macht etwas träge, aber auf eine sehr angenehme art.
mehr braucht es nicht.

Mittwoch, 17. Juli 2013

stockholm 1






Dienstag, 16. Juli 2013

rote beete

fest, wie einen schatz, hielten ihre alten hände die grüne tüte fest. dann beobachtete sie konzentriert ihre bierflaschen, wie diese auf dem band langsam zur kasse rollten. ihre überdimensional grosse brille rutschte nicht von der nase. ihr gesicht sprach bände. sie mochte menschen nicht. dann sah sie mich an. etwas genervt. ich wagte es, meine ware ebenfalls aufs band zu legen, ohne den trenner zu benutzen. vielleicht deshalb. ich wusste nicht warum, aber ich musste lächeln. erst verdunkelte sich ihr blick, doch dann sprang ein schüchternes grinsen drüber. ihre augen wurden hinter der dicken brillen nun sichtbar und sie sah nicht mehr wie eine gebrochene alte frau aus, sondern wie eine liebe oma, die heute abend noch rote beete kochen wird. die bierflaschen kamen aus dänemark. der kassierer erklärte ihr noch, dass sie die tüte schon noch aus der hand geben musste, um ihre rote beete wiegen zu können. sie murmelte kopfschüttelnd irgendwas von früher und technik und schielte wieder zu mir rüber. diesmal lachte ich. und auch ich sah ihre dritten. sie zahlte. packte ihre tüten und die 4 bierflaschen in einen uralten leinenbeutel und sah mich nochmal an. ich sage auf wiedersehen. und genauso meinte ich es auch.

Donnerstag, 11. Juli 2013

Mittwoch, 10. Juli 2013

baumwolle


ich konnte den donnerstag nicht einhalten. ich war überarbeitet, aber das war nicht die ganze wahrheit. meine kunden sind keine gewöhnliche kunden. sie zahlen für die liebe. so nennen es die romantischen unter ihnen. sie zahlen für sex. so nennen es die anderen. ich nenne es einfach nur meine arbeit. ein kunde ist anders. er fragte mich, ob er mit mir nur reden könnte. tagsüber in einem café. nur reden? ja, über seine frau. seine freundin. seine kinder. seine arbeit. seinen sport. ich war irritiert. willigte jedoch ein. so redeten wir. jeden donnerstagnachmittag. nach einiger zeit erzählte ich auch von mir. von meiner arbeit. von meinem freund und meiner mutter. das war schön. ich hatte das gefühl dass er mich nicht als prostituierte wahrnahm, sondern als frau. und als mensch. das tat mir gut.  er war anders. eher zurückhaltend. nicht laut. konzentriert und warmherzig. ich merkte, dass ich an seinen lippen hing, als er von seiner frau erzählte, welche sehr krank war. er kümmerte sich um die kinder und ja, nebenbei hatte er auch eine freundin. er sah den tisch an, als er davon erzählte. ich spürte, dass er der familie gegenüber ein schlechtes gewissen hatte. ich spürte, dass er eine grosse verantwortung hatte. während unserer gespräche beobachtete ich oft seine hände. sie waren gross und von venen durchzogen. nervös war er nie. 20 jahre älter als ich. trug glattgebügelte baumwollhemden. die innenseiten seiner krägen waren angerauht, was der paar-tage-bart verursachte.  seine haare waren ein geordnetes graues durcheinander. seine augen braun, nein eher grünbraun. vereinzelte falten umzingelten sie. so trafen wir uns. woche für woche. seit über einem halben jahr.
wir lachten, auch wenn es ernst wurde und ich merkte, dass ich mich langsam verliebte. das sollte in so einem job nicht vorkommen. ich wusste, dass ich ihn irgendwann verlieren würde. meine zungeigung konnte ich nicht wirklich zeigen, ausser dass ich ihm zuhörte. es genügte ihm. meine wachsenden gefühle blieben demnach mein geheimnis. oft wurde ich eifersüchtig. eifersüchtig auf die freundin, die kinder, die arbeit, sogar auf seine kranke frau. ich zog mich zurück. träumte von  weissen baumwollhemden.  aber ich blieb bei mir. langsam sah ich mich nach normalen jobs um. ich hatte nicht viel vorzuweisen, aber ich wusste, dass ich so nicht mehr leben konnte. ich konnte nicht mehr mit anderen männern schlafen. ich wurde schwach und dieses gefühl machte mir angst. so erschien ich nicht mehr zu unserem vereinbarten treffen. zum nächsten auch nicht.
er schrieb mir. ich konnte nicht antworten, so gelähmt war ich. dann riss ich mich zusammen.
der dritte donnerstag. es regnet. ich bin viel zu spät. hoffe, dass er nicht mehr da ist. dann hoffe ich, dass er noch da ist. ich öffne die türe und sehe sein hemd, wie es gerade im mantel verschwinden will. ich kann nicht ausweichen und sinke an seiner brust zusammen. spüre baumwolle. und kann meine tränen nicht mehr zurückhalten. ich weine. gleichzeitig schäme ich mich. er hält mich. streichelt mich. ich sehe ihn an und werde erlöst. wir gehen nach draussen. auf den strassen ist es immer laut. jetzt ist es leise. und der regen hört auf.

Dienstag, 9. Juli 2013

geschmack von sommer

ich hatte angst im flugzeug, du hattest meine hand genommen. ich bekam ausschlag von den krustentieren, während du wodka getrunken hast. der wodka verdarb dir den magen und ich schlief seelenruhig weiter.
der strom fiel aus und wir liefen durch den regen. du hattest gelacht und gesagt, dass du dich wie ein teenager fühlst. ich verbrannte mir die nase und lief dann mit quarkmaske herum, während du mich fotographiert hast. ich lackierte dir im schlaf die fussnägel und du hattest es eine woche stolz getragen. auch im schwimmbad. wir strichen die küche erst weiss, dann eierschale, dann lindgrün und doch wieder eierschalenfarben. wir warfen die krümel vom frühstückstisch in den hof und warteten auf die vögel.  abends sahen wir der sonne zu wie sie langsam hinter den feldern verschwand. ich deckte den tisch. die tischdecke war von deiner oma. ich wollte das bad saubermachen, aber du wolltest mir die achseln rasieren. auf den markt liefen wir wie falschgeld rum. du wolltest kirschen, ich wollte grüne bohnen. ich lief barfuss, du mit khakifarbenen flip flops. du hattest die familienpackung eis geholt, obwohl wir keine familie waren. im auto sangen wir laut money von pink floyd und waren auf einmal reich. ich trug kleider. du unterhosen zuhause. wir wollten regen. bekamen aber jeden tag sonne. und als ich mich durch alle kanäle durchzappte, hattest du fast ein buch zu ende gelesen. ich schnarchte und du hast geredet im schlaf.
ich kam, als du deine hand in meine kniekehle hast gleiten lassen.  du sagtest dass du mich liebst und ich habe dir geglaubt.

Montag, 8. Juli 2013

am wasser

das kleid flatterte unruhig in eine richtung und der wind peitschte ihr das haar ins gesicht. sie stand am strand und sah auf das meer hinaus. es war warm. der strand fast leer. sie schloss die augen und atmete tief ein. die luft brannte und sie schmeckte salz. dann öffnete sie die augen wieder. sie träumte nicht. sie wollte weg und jetzt war sie da. weg von der stadt. weg vom alten leben.
dann fühlte sie die hand. warm und winzigklein. sie sah runter und zwei braune augen sahen sie fragend an. sie strich dem blonden schopf über das haar. drückte es an ihren bauch. fühlte die junge sanftheit und unschuld. so blieben beide stehen. der wind zwang irgendwann weiterzulaufen. der sand brannte unter den füssen und sie hob das kind hoch, um es davor zu schützen. bald kam sie an der veranda an, setzte sich auf die schattigen stufen. das kleine nah bei sich.
'bleiben wir jetzt hier?' fragte es.
'ja!' sie ergriff die kleine hand.
'für immer?'
'ja, für immer.'
'für immer am wasser?'
'ja, am wasser bleiben wir.'
langsam lies das kind ihre hand los und schlief ein.

Samstag, 6. Juli 2013

freiheit


Dienstag, 2. Juli 2013

wenn ich rauche

und  mir die frauen auf den strassen anschaue, dann sehe ich sand am meer. die jungen -generation  mini cooper-  konsumgeil& sexy werden durch das geld des vaters vor wahrer arbeit verschont oder arbeiten hart in tierheimen oder nachttanzschuppen.  die älteren ersticken in ihrer ehe oder unter der machthaube ihres jobs. fast alle sind selbst schuld an ihrer katastrophalen leere. aus sicherer entfernung betrachtet signalisieren sie zuerst desinteresse und erhabenheit. bei näherem hinsehen sehe ich unsicherheit und abhängigkeit, abhängigkeit vom wohlstand und, noch viel schlimmer, abhängigkeit von der akzeptanz der gesellschaft. diese  frauen möchten um alles in der welt wahrgenommen und gemocht werden. entweder als massenware oder als paradiesvogel. beides fällt mir auf und lässt mich lächeln. denn beides wirkt unecht. viele verkaufen in ihrer kleidung, ihren blicken & in ihrem gang einen hauch von erotik oder bestenfalls sex. doch steht dieser vor der türe, so flüchten sie. nicht etwa scheu wie rehe am waldesrand, nein, sie flüchten sich zurück auf facebook oder zu ihrem mann oder ihrem schreibtisch. wahren sex können diese damen nicht bieten. das wie eine masche aussieht, ist auch eine. den für wahren sex gibt es andere. und recht haben sie. es gibt sie noch. die anderen. die entpuppen sich beim zweiten oder gar drittem hinsehen. passionierte frauen tragen nicht dick auf. auch nicht dünn. sie leben. sie sind mädchen und frau in einem. sind mutig, auch verwegen oder verrucht. aber sie haben das gewisse etwas in den augen, was weit weg von terminplaner und kosmetikbesuch entfernt ist. sie sind jung und wirken erfahren oder sind erfahren und wirken dadurch jung.
es ist jahre her, aber ich erinnere mich gut. ich war sechzehn. und sie war so eine frau. sie war älter und lebte mit ihrem sohn alleine im obergeschoss unseres alten stadthauses. oft schleppte sie noch neben dem kind ihre einkäufe  in den 5.stock hoch. ich stand im treppenhaus als es passierte. eine tüte mit orangen  fiel ihr aus den händen und das obst kullerte die stufen herab. sie setzte sich mit ihrem kind auf die treppe & sah mich an. ich wollte ihr helfen. sanft nahm sie meinen arm und sagte: 'du hast eine wunderschöne hautfarbe. so golden. das gefällt mir an dir.' sofort wurde ich rot. und sie hatte vor hitze einen satinschimmer auf der haut. die luft brannte. ich brannte. dann stand sie auf und sammelte mit mir die orangen auf. mehr passierte nicht. aber ab dem moment wurde mir klar, dass es noch andere frauen gab. und heute suche ich sie verzweifelt. nicht dass ich sie gerne haben möchte, nein, die hatte ich. aber ich mag sie um mich haben und mich in ihren anderem denken jedesmal neu verirren. und wenn es nur die reinigungskraft eines hotels ist oder die tochter des hausmeisters. sie sind unter uns. man muss nur anders hinsehen.

Montag, 1. Juli 2013

wenn es schneit

'wann sehen wir uns wieder?'
'wenn es schneit!'
'im winter?'
'nein!'
'wann?'
'wenn es schneit- im august!'
'also nie?'
'ja!'
'kannst du das einfach so?'
'ja!'
'warum?'
'weil ich schmerz nicht ertragen kann, deshalb!'
'somit verzichtest du auf chancen?'
'ja!'
'auf liebe?'
'ja!'
'auf meine hingebung, mein interesse?'
'ja!'
'interessierten dich überhaupt menschen?'
'ja, sehr sogar!'
'aber warum stößt du mich dann weg?'
'weil ich bei dir was empfinde.'
'das ist doch krank!'
'möglicherweise.'
'ich bitte dich. ich möchte dich verfolgen in dein innerstes.
dich verstehen. dich festhalten.'
'das tust du schon. mehr als mir lieb ist. deine blicke zerschneiden mich. deine arme brechen mich.
dein herz begleitet mich. frisst mich.'
'ja, liebe.'
'liebe...'

Freitag, 28. Juni 2013

fin de semaine

Mittwoch, 26. Juni 2013

zimt und sahne

sie roch nicht wie andere. sondern nach zimt und sahne. ich möchte sie bewusst nicht eine prostituierte nennen, aber sie war eine. jeden donnerstagnachmittag um halb vier traf ich sie. zum reden. in einem café. oft habe ich mich gefragt, weshalb ich sie nicht komplett in anspruch nahm. aber es ging nie darum. ich wollte reden. das fehlte mir. den rest hatte ich.
so trafen wir uns seit über 6monaten. egal ob es draussen regnete, schneite oder die sonne schien. wir redeten über alles. über ihren job. über meinen job. über meine kinder. über ihren freund. über meine frau. über meine freundin. über ihre mutter. nach einer stunde war alles gesagt. und jeder ging seinen weg.
vorletzten donnerstag kam sie nicht. auch letzen donnerstag nicht. ich rief nicht an. ich schrieb ihr. sie antwortete nicht. ich schrieb nochmal. wieder antwortete sie nicht.
heute sitze ich an meinem platz im café und tippe genau diese zeilen. es ist kurz vor 4uhr nachmittags. es regnet. jede türe, welche sich öffnet, lässt mich freudig aufblicken. doch sie ist es nicht. ich weiss nicht, ob was passiert ist oder ob sie einfach keine lust mehr hat. keine lust mehr hat auf die gespräche oder auf diese merkwürdige art ihre arbeit zu erledigen. ich weiss es nicht. ich weiss nur, dass ich sie vermisse. ihren strengen dunkelblonden pferdeschwanz, ihre weichen augenbrauen, ihre grünen augen und ihre zahnlücke. ich mag ihre stimme und wenn sie lacht. sie ist klug. doch wollte sie nie mehr daraus machen. später mal, sagte sie oft. später mal, wenn ich genug geld habe, sagte sie. und sie meinte es ernst. wieder geht die türe auf. wieder ist sie es nicht. in mir sticht was. so etwas wie aufregung, welche langsam in trauer übergeht. es ist kurz vor 5uhr nachmittags. ich verlange die rechnung. hole meinen mantel. die aktentasche. und plötzlich rieche ich zimt. und sahne. ich drehe mich um und schaue sie an. ehe ich was sagen kann, umarmt sie mich. drückt ihr gesicht fest an meine brust. und weint. ich halte sie. streichle ihren erhitzten kopf. ich will nicht wissen, was passiert ist. ich will keine fragen stellen. ich beruhige sie. ich merke, dass sie mehr nach zimt riecht, als nach sahne. und es gefällt mir. dann schaut sie mich an. wie ein kleines mädchen. ihre augen gerötet, wie auch ihre nase.
ich öffne die türe und wir gehen. es ist kurz nach 5 uhr nachmittags. und der regen hört auf.