Mittwoch, 10. Juli 2013

baumwolle


ich konnte den donnerstag nicht einhalten. ich war überarbeitet, aber das war nicht die ganze wahrheit. meine kunden sind keine gewöhnliche kunden. sie zahlen für die liebe. so nennen es die romantischen unter ihnen. sie zahlen für sex. so nennen es die anderen. ich nenne es einfach nur meine arbeit. ein kunde ist anders. er fragte mich, ob er mit mir nur reden könnte. tagsüber in einem café. nur reden? ja, über seine frau. seine freundin. seine kinder. seine arbeit. seinen sport. ich war irritiert. willigte jedoch ein. so redeten wir. jeden donnerstagnachmittag. nach einiger zeit erzählte ich auch von mir. von meiner arbeit. von meinem freund und meiner mutter. das war schön. ich hatte das gefühl dass er mich nicht als prostituierte wahrnahm, sondern als frau. und als mensch. das tat mir gut.  er war anders. eher zurückhaltend. nicht laut. konzentriert und warmherzig. ich merkte, dass ich an seinen lippen hing, als er von seiner frau erzählte, welche sehr krank war. er kümmerte sich um die kinder und ja, nebenbei hatte er auch eine freundin. er sah den tisch an, als er davon erzählte. ich spürte, dass er der familie gegenüber ein schlechtes gewissen hatte. ich spürte, dass er eine grosse verantwortung hatte. während unserer gespräche beobachtete ich oft seine hände. sie waren gross und von venen durchzogen. nervös war er nie. 20 jahre älter als ich. trug glattgebügelte baumwollhemden. die innenseiten seiner krägen waren angerauht, was der paar-tage-bart verursachte.  seine haare waren ein geordnetes graues durcheinander. seine augen braun, nein eher grünbraun. vereinzelte falten umzingelten sie. so trafen wir uns. woche für woche. seit über einem halben jahr.
wir lachten, auch wenn es ernst wurde und ich merkte, dass ich mich langsam verliebte. das sollte in so einem job nicht vorkommen. ich wusste, dass ich ihn irgendwann verlieren würde. meine zungeigung konnte ich nicht wirklich zeigen, ausser dass ich ihm zuhörte. es genügte ihm. meine wachsenden gefühle blieben demnach mein geheimnis. oft wurde ich eifersüchtig. eifersüchtig auf die freundin, die kinder, die arbeit, sogar auf seine kranke frau. ich zog mich zurück. träumte von  weissen baumwollhemden.  aber ich blieb bei mir. langsam sah ich mich nach normalen jobs um. ich hatte nicht viel vorzuweisen, aber ich wusste, dass ich so nicht mehr leben konnte. ich konnte nicht mehr mit anderen männern schlafen. ich wurde schwach und dieses gefühl machte mir angst. so erschien ich nicht mehr zu unserem vereinbarten treffen. zum nächsten auch nicht.
er schrieb mir. ich konnte nicht antworten, so gelähmt war ich. dann riss ich mich zusammen.
der dritte donnerstag. es regnet. ich bin viel zu spät. hoffe, dass er nicht mehr da ist. dann hoffe ich, dass er noch da ist. ich öffne die türe und sehe sein hemd, wie es gerade im mantel verschwinden will. ich kann nicht ausweichen und sinke an seiner brust zusammen. spüre baumwolle. und kann meine tränen nicht mehr zurückhalten. ich weine. gleichzeitig schäme ich mich. er hält mich. streichelt mich. ich sehe ihn an und werde erlöst. wir gehen nach draussen. auf den strassen ist es immer laut. jetzt ist es leise. und der regen hört auf.