Montag, 5. August 2013

die stadt

es war schon spät, die temperaturen versprachen einen langen sommer und die strassen schienen durch das licht in gold getaucht zu sein. meine schicht endete gerade. ich ging in die stadt. die vielen menschen in den gassen ließen die altstadt aufleben. ich dachte nach. die gute foresta hatte recht. ich fragte mich, was ich tatsächlich vom leben wollte. bis jetzt war mir vieles egal. hauptsache der verdienst war gut und ich konnte meine tägliche, fast schon voyeuristische arbeit sauber verrichten. ich wollte irgendwann besser leben. besser als die frauen in meinem dorf. nie wollte ich so ein jämmerliches dasein wie sie haben. sich tagtäglich kleinmachen, in stinkende töpfe schauen und das ave maria hoch- und runterbeten, um endlich erhört zu werden. ich hatte es satt. hier konnte ich mich zumindest frei bewegen und gott blieb dennoch bei mir. im hotel schätzte man mittlerweile meine arbeit sehr und ich wurde auch offener den leuten gegenüber. eine schauspielerin nannte die foresta mich. eine zeitzeugin. sie merkte wohl, dass ich alles abscanne und abspeichere, um mehr über die menschen zu erfahren. von mir erfuhr man nichts, aber ich, ich wollte alles wissen. vor allem die menschen im hotel interessierten mich. hier draussen war das leben zwar bunter, aber es war nicht so anspruchsvoll. im hotel war es intimer und auch unantastbar. die gäste waren die könige, aber wir, die bediensteten, hatten alles in der hand. die stadt war so gesehen kein magnet für mich, ich war nicht angehalten in cafés zu sitzen und zeitung zu lesen. ich wollte keine museen besuchen und auch keine rundfahrten machen.  ich wollte was leisten. geniessen konnte ich später, sagte ich mir immer. dolores hatte es auch so gemacht. sie hatte nicht mal familie. das grand hotel ist meine familie, lachte sie. ob sie tatsächlich damit glücklich war, war fraglich. mir kam es nicht auf glücklichsein an, ich wollte einfach nur raus aus dem bisherigen sumpf.
auf den stufen der piazza war es noch warm. um mich herum rannten kinder und aufgescheuchte eltern umher. engumschlungene verliebte zogen vorbei und verrunzelte pärchen posierten fröhlich vor einer fotokamera. jugendliche lachten & schrien und vereinzelt fanden sich auch einsame träumer auf den stufen wieder. so wie ich. aber ich spürte gefallen an meiner einsamkeit. die wilde huperei der vespas nahm zu und winzige autos zwängten sich durch die kleinen gassen. langsam begab ich mich auf den weg zurück. nein, die stadt war tatsächlich nicht meine welt. dieses zeitzeugnis konnte ich also nicht unterschreiben liebe signora foresta.