Sonntag, 11. August 2013

francois

allmählich gewöhnte ich mich an den hotelalltag. gäste kamen und gingen. mit ihnen gepäck, geruch und persönlichkeit. meine passion, die menschen anhand ihrer eigenheiten zu entdecken und diese entdeckung auszuleben, geriet langsam aus meinem fokus. ich erledigte meine aufgaben und nur bei besonderen gästen tauchte ich in meine tagträume ab.
es war montag, ein heller vormittag, drei räume hatte ich noch auf der liste. ich betrat die juniorsuite. als ich die türe öffnete kam mir eine welle, eine art frische brise entgegen. es roch nach meer, salz und algen. etwas benommen machte ich mich an die arbeit. nachdem alles erledigt war, legte ich mich kurz auf das bett. ich rollte mich zusammen und drückte meine wange in das kissen. ganz vorsichtig atmete ich tief ein. trotz der frischen wäsche nahm ich meerwasser und salz aus dem atlantik wahr.
ich weiss, sie müssen mich für verrückt halten, vielleicht bin ich es auch. mich während meiner arbeitszeit  in das bett eines gastes, ja, eines fremden zu legen und an seinem kopfkissen zu riechen. es klingt tatsächlich verrückt. aber ich verrate ihnen etwas. ich fühlte mich geborgen. ich fühlte mich sicher. es war, als würde mich jemand umarmen. ich kannte dieses gefühl. es war schon lange her. es war, als meine grossmutter noch lebte. sie nahm mich in ihre arme, als ich noch klein war. danach spürte ich das nie wieder. aber jetzt fühlte ich mich, als würde mich jemand an sich drücken. so lag ich da. auf dem kingsizebett. in meiner putztracht. mit weissen turnschuhen. meine haare zu einem kleinen knoten gezwungen.
plötzlich schreckte ich hoch. ich musste eingeschlafen sein. ich sah zu tür. ein mann kam herein. er war nicht alt. nicht wirklich jung. er war gross. sein haar fiel weich in den nacken, und er trug einen bart, sodass ich von seinem gesicht nicht viel sehen konnte. mich irritierte sein blick. er sah mich an. doch sah er durch mich hindurch. wer sind sie, fragte er. seine stimme war angenehm. sie passte zu diesem duft im raum.
ich fuhr hoch und ordnete das zerdrückte bett, dann meine tracht und meinen haarknoten. er kam langsam herein und hielt sich im letzten moment am türrahmen fest. mir fiel ein edler gehstock in seiner rechten hand auf. ich kann sie nicht sehen, sagte er. ich kann überhaupt nichts sehen, verstehen sie? sind sie das zimmermädchen, er sah mich an. erst wollte ich nicht antworten, was idiotisch war. ja, ich bin das zimmermädchen, stieß ich hervor.
er verließ den türrahmen und bewegte sich stück für stück auf mich zu. seine schuhe waren aus feinem, braunem wildleder und der weiche teppich gab sachte unter ihm nach. dann blieb er stehen und schloss die augen. ich frage mich schon die ganze zeit, welches der zimmermädchen hier so gut riecht, flüsterte er. verunsichert stand ich im raum. ich wusste, dass das gehen jetzt ein fehler gewesen wäre, doch war das bleiben auch einer, wenn auch ein höflicher. wie heissen sie, noch immer waren seine augen geschlossen. um ihn herum versammelte sich der duft von meerwasser und limone in einen wirbel, welchem ich kaum entrinnen konnte. milia, sagte ich. er hielt inne und richtete sich auf. das stimmt nicht, sagte er. erstaunt sah ich hoch. sie müssen ihn mir auch nicht verraten, das ist in ordnung. ich bin francois. er streckte mir seine hand entgegen, ohne dabei die augen zu öffnen. sie war mittelgross und feingliedrig. zögernd gab ich ihm meine. sein handteller war kühl, aber nicht kalt. er drückte meine hand nicht, sondern glitt langsam hinein, bis er sie fester im griff hatte. ein unbekanntes gefühl von wärme stieg in mir hoch. ich erschrak. nun muss ich gehen, sagte ich nach einer weile und ließ seine hand los. kommen sie wieder, wollte er wissen. ich nickte, und wusste dass er es nicht sah, aber er lächelte. ich verliess den raum. die türe fiel schwer hinter mir zu und ich drückte mich mit dem rücken fest dagegen. mein herz schlug bis zum kopf.  ich rang nach luft. und schluckte. ich schluckte den atlantik runter. auch seine stimme. die kühle wärme seiner handinnenfläche. ich lief los. schnell. noch schneller. die weissen turnschuhe waren genau das richtige für diesen job. ich lächelte. dann sah ich hoch. wollte wissen, ob gott mich anschaute. er tat es nicht. alles war in ordnung.