Donnerstag, 22. August 2013

mitternacht

der sommer ging zu ende. die tiefe sonne verfing sich in den häusern und der touristenstrom nahm langsam ab. im hotel herrschte beste laune. die zeit der geschäftsbesuche brach an. ein jahr war ich nun schon hier.
ich hatte mittlerweile ein zimmer für mich alleine, arbeitete nur noch zwei schichten und hatte einen abendlichen sprachkurs belegt. das dorf hinter mir wurde immer kleiner. ich schickte immernoch geld an meine mutter, immernoch verschwendete ich keine worte. auch hatte ich keinen kontakt zu meinen schwestern. ich wusste, dass sie da nie rauskommen würden und das trennte mich emotional von ihnen.
dolores ging oft kurz vor mitternacht im hotelpool schwimmen. es durfte nur kein gast mehr anwesend sein. irgendwann kam ich mit. wir schwammen paar runden und legten uns auf die grossen liegen. so lagen wir da und redeten. dolores lebte für das hotel. lebte für das wohl der gäste. lebte für ihre zimmermädchen. das ist meine berufung, sagte sie lächelnd. ich war in gedanken. warum hast du keinen mann, fragte ich sie. sie sah auf das wasser und schwieg. dann redete sie über das wetter und über die neuen gäste. sie redete über zwei angestellte und über die bestellte bettwäsche. dann stand sie auf und verschwand. ich blieb liegen. dolores was zu fragen war grundsätzlich ein fehler. ich vertiefte mich in meine tageszeitung. dann hörte ich schritte. ich dachte dolores hatte was vergessen und blickte auf. eine frau betrat den schwimmbereich. sie kam barfüssig herein eingewickelt in einen dicken bademantel. sie blieb am rand des pools stehen, öffnete ihren bademantel, liess diesen zu boden fallen. darunter war sie nackt. schnell machte sie einen sauberen kopfsprung ins wasser. sie nahm sechs bahnen und pausierte anschliessend am rand. da ich nicht wusste, ob sie mich überhaupt wahrgenommen hatte, versteckte ich mich hinter meiner zeitung. schlafen sie hier, frage sie mich. ihre stimme war sehr dunkel.  ich lugte hinter der zeitung hervor und schüttelte den kopf. sie kam aus dem wasser. ich sah weg. ihre nacktheit irritierte mich. was machen sie dann hier, wollte sie wissen und kam auf mich zu. ihr langes haar war nass und tropfte meine liege voll. ich entspanne mich, sagte ich. sie lächelte. ich kann nicht schlafen, also schwimme ich bis ich müde bin, sagte sie. sie drehte sich um. ihr körper war makellos. mein blick fiel auf meine beine. niemals, niemals waren sie so lang und gerade wie ihre. sie zog den bademantel wieder über. ich weiss wer sie sind, lachte sie, sie sind das zimmermädchen. ich fühlte einen stich in meiner brust. ich habe sie gesehen, gestern und heute. und wissen sie was? sie bewegen sich wie eine tänzerin. sie tanzten praktisch den gang entlang, wie in einem musikvideo, erzählte sie weiter. ich spürte den blutstrom in meinen wangen ankommen. hey, da brauchen sie gar nicht rot werden. es ist wahr. sie sind klasse, scheisse ich hätte gerne ihren rhythmus, rief sie. paralysiert blieb ich liegen, die zeitung klebte schon an meinen händen. dann kam sie wieder auf mich zu, kniete sich auf meine liege und berührte sachte meine knöchel. lady, sie müssen tanzen. ich tanze seit ich vier jahre alt bin. ich habe ahnung von dieser folter. aber bei ihnen ist es ihre natur. sie sollten rausgehen und menschen damit glücklich machen. vor allem werden sie selbst glücklich damit. erwartungsvoll sah sie mich an. meine unsicherheit konnte ich nicht verstecken, ich starrte meine beine an. sie stand auf und lief zur treppe, hob, ohne sich umzudrehen ihre hand und winkte. wir sehen uns auf der bühne, lachte sie. dann wurde es leise. grandioser auftritt den sie da hingelegt hat. sie glänzte immernoch, obwohl sie schon lange weg war. welch eine wunderschöne person. und ich konnte tanzen? wieso erzählte sie so einen blödsinn? gehörte das zu ihrer performence? am liebsten hätte ich mich versteckt. noch unter dieser nassen zeitung. ich schämte mich meiner herkunft. eben ganz besonders. auch glaubte ich nicht, dass ich überhaupt was gut konnte. ihre komplimente stachen in meiner brust. nicht mal gott konnte mir helfen. das hotel war mein rettungsanker, ja, und ich war schon ein jahr hier, aber dennoch war ich sehr angreifbar. das war eine tatsache. das dorf saß tiefer als ich dachte und ich musste es mir eingestehen.
es war drei uhr morgens. ich hoffte, dass sie jetzt schlafen konnte. zumindest konnte ich es in dieser nacht nicht mehr.