Sonntag, 25. August 2013

meister angelo

ich hatte einen freien tag. dolores hatte mich schon lange genervt, dass ich meinem naturkrausem haar einen schnitt schenken sollte. ich hatte keine lust was zu verändern, denn während meiner arbeitszeit trug ich die haare ohnehin zum knoten. und wenn ich abends erschlagen im bett lag, so waren mir fünf oder zehn zentimeter weniger oder mehr tatsächlich egal. bitte geh dahin, dolores hielt mir eine karte unter die nase, du wirst spass haben, um den rest kümmere ich mich. so ging ich zum ersten mal im leben zum friseur. die adresse glich einem palast mit bodenlangen fenstern und viel mamor. zwei duzend stühle aus chrom und leder brachten eine schönen kontrast in den historischen raum. riesige durchsichtige vasen mit lilien standen auf den tischen und im hintergrund lief mozart oder bach. ich wusste es nicht genau. bald saß ich zwischen vielen frauen, vielen handtaschen und viel rotem nagellack auf einem der bequemen stühle. der meister war ein bekannter mann in der stadt. dolores schickt sie, welch freude, ich bin angelo, sang er vor sich hin, reichte mir erst seine dickliche hand und gleich danach ein glas champagner. sie haben wunderschönes haar, umwerfend, trällerte er in höchsten tönen und grub seine hände tief in meine locken, seine tätowierten augenbrauen kamen vor begeisterung nicht mehr zum stillstand, obwohl die stirn durch botox komplett lahmgelegt wurde. haben sie wünsche, gnädigste, fragte er in einem erwartungsvollem ton, dabei hielt er seinen kopf dicht neben meinen und wir sahen uns beide im spiegel an. sein erscheinungsbild ähnelte einer überholten form von elvis. das haar war zu einer schwarzgefärbten tolle gezimmert, seine jeans eng und das hemd aus seide war ordentlich darin untergebracht. der gesamte palast roch nach moschus und haarlack. etwas benommen trank ich in zwei zügen meinem champagner leer, was zu noch mehr schwindel führte. ich habe keine ahnung was mir steht, sagte ich und der meister sprang mit einem satz zur seite. dafür bin ich doch da, gnädigste. er lächelte und nahm erneut meine hand. seine stirn bewegte sich nicht. nichts bewegte sich. ich lächelte gequält zurück. sie sind wunderschön meine liebe, das wissen sie schon oder, sang er weiter und versuchte mein haar in form zu bekommen. ich sah in den spiegel. und sah wieder weg.
es wurde ein waschbecken heran gerollt, ich in die waagrechte befördert und ein junger mann namens nikolai wusch mir die haare. das warme wasser war angenehm. auch die massage. trotzdem lag ich sehr verkrampft da. die reichen und schönen waren hier und mittendrin auch ich. was hatte dolores sich dabei gedacht? wollte sie mich fertigmachen? was hatte das mit mir zu tun? jahrelang schnitt ich mein haar selbst. auch zupfte ich mir die augenbrauen und keiner hat sich jemals beschwert. ich mache ihnen noch eine vitaminhaarkur ins haar, flüsterte nikolai und ich zuckte mit den achseln. nachdem ich mit einem turban aus edlem frottee wieder aufrecht saß tanzte angelo wieder heran. ich hatte ohnehin keine chance und ließ ihn machen. beobachtete im augenwinkel die anderen kundinnen, welche hochglanzmagazine blätterten, champagner tranken und ihre kinder oder ihre pudel kraulten. ich schloss die augen. dolores, dolores du treibst es tatsächlich weit mir mir, dachte ich. nach einer gefühlten ewigkeit öffnete ich wieder die augen und sah in den spiegel.
ich sah eine frau. 28 jahre alt. sie hatte helle haut. paar sommersprossen auf der geraden nase. hohe wangenknochen. grasgrüne augen und lockige braune haare. der mund hatte volle lippen. sie öffnete sie und ich erkannte eine kleine zahnlücke. die augenbrauen gaben dem gesicht einen rahmen. die frau, die ich sah, war ich.
bravissimo, angelo trat einen schritt beiseite. ganz wunderbar, ausgezeichnet, klatschte er in seine dicken hände. dann nahm er ein taschentuch und tupfte sich die stirn ab. gnädigste, wir haben sie geschminkt, ihre brauen nachgetönt, auch ihr haar. die farbe heisst siena. ist das nicht wunderschön, gierig griff er im haar herum. ich konnte nicht glauben, dass ich die frau im spiegel war. aber ich war es. und ich war schön. schöner als dieser ganze haufen frauen hier, welche sich mittlerweile an meiner einfachen kleidung und den turnschuhen ergötzten. ja, ich war schön. sehr schön sogar.
nach ein paar haarsprayaktionen verließ ich den palast. und war dolores sehr dankbar.

Donnerstag, 22. August 2013

mitternacht

der sommer ging zu ende. die tiefe sonne verfing sich in den häusern und der touristenstrom nahm langsam ab. im hotel herrschte beste laune. die zeit der geschäftsbesuche brach an. ein jahr war ich nun schon hier.
ich hatte mittlerweile ein zimmer für mich alleine, arbeitete nur noch zwei schichten und hatte einen abendlichen sprachkurs belegt. das dorf hinter mir wurde immer kleiner. ich schickte immernoch geld an meine mutter, immernoch verschwendete ich keine worte. auch hatte ich keinen kontakt zu meinen schwestern. ich wusste, dass sie da nie rauskommen würden und das trennte mich emotional von ihnen.
dolores ging oft kurz vor mitternacht im hotelpool schwimmen. es durfte nur kein gast mehr anwesend sein. irgendwann kam ich mit. wir schwammen paar runden und legten uns auf die grossen liegen. so lagen wir da und redeten. dolores lebte für das hotel. lebte für das wohl der gäste. lebte für ihre zimmermädchen. das ist meine berufung, sagte sie lächelnd. ich war in gedanken. warum hast du keinen mann, fragte ich sie. sie sah auf das wasser und schwieg. dann redete sie über das wetter und über die neuen gäste. sie redete über zwei angestellte und über die bestellte bettwäsche. dann stand sie auf und verschwand. ich blieb liegen. dolores was zu fragen war grundsätzlich ein fehler. ich vertiefte mich in meine tageszeitung. dann hörte ich schritte. ich dachte dolores hatte was vergessen und blickte auf. eine frau betrat den schwimmbereich. sie kam barfüssig herein eingewickelt in einen dicken bademantel. sie blieb am rand des pools stehen, öffnete ihren bademantel, liess diesen zu boden fallen. darunter war sie nackt. schnell machte sie einen sauberen kopfsprung ins wasser. sie nahm sechs bahnen und pausierte anschliessend am rand. da ich nicht wusste, ob sie mich überhaupt wahrgenommen hatte, versteckte ich mich hinter meiner zeitung. schlafen sie hier, frage sie mich. ihre stimme war sehr dunkel.  ich lugte hinter der zeitung hervor und schüttelte den kopf. sie kam aus dem wasser. ich sah weg. ihre nacktheit irritierte mich. was machen sie dann hier, wollte sie wissen und kam auf mich zu. ihr langes haar war nass und tropfte meine liege voll. ich entspanne mich, sagte ich. sie lächelte. ich kann nicht schlafen, also schwimme ich bis ich müde bin, sagte sie. sie drehte sich um. ihr körper war makellos. mein blick fiel auf meine beine. niemals, niemals waren sie so lang und gerade wie ihre. sie zog den bademantel wieder über. ich weiss wer sie sind, lachte sie, sie sind das zimmermädchen. ich fühlte einen stich in meiner brust. ich habe sie gesehen, gestern und heute. und wissen sie was? sie bewegen sich wie eine tänzerin. sie tanzten praktisch den gang entlang, wie in einem musikvideo, erzählte sie weiter. ich spürte den blutstrom in meinen wangen ankommen. hey, da brauchen sie gar nicht rot werden. es ist wahr. sie sind klasse, scheisse ich hätte gerne ihren rhythmus, rief sie. paralysiert blieb ich liegen, die zeitung klebte schon an meinen händen. dann kam sie wieder auf mich zu, kniete sich auf meine liege und berührte sachte meine knöchel. lady, sie müssen tanzen. ich tanze seit ich vier jahre alt bin. ich habe ahnung von dieser folter. aber bei ihnen ist es ihre natur. sie sollten rausgehen und menschen damit glücklich machen. vor allem werden sie selbst glücklich damit. erwartungsvoll sah sie mich an. meine unsicherheit konnte ich nicht verstecken, ich starrte meine beine an. sie stand auf und lief zur treppe, hob, ohne sich umzudrehen ihre hand und winkte. wir sehen uns auf der bühne, lachte sie. dann wurde es leise. grandioser auftritt den sie da hingelegt hat. sie glänzte immernoch, obwohl sie schon lange weg war. welch eine wunderschöne person. und ich konnte tanzen? wieso erzählte sie so einen blödsinn? gehörte das zu ihrer performence? am liebsten hätte ich mich versteckt. noch unter dieser nassen zeitung. ich schämte mich meiner herkunft. eben ganz besonders. auch glaubte ich nicht, dass ich überhaupt was gut konnte. ihre komplimente stachen in meiner brust. nicht mal gott konnte mir helfen. das hotel war mein rettungsanker, ja, und ich war schon ein jahr hier, aber dennoch war ich sehr angreifbar. das war eine tatsache. das dorf saß tiefer als ich dachte und ich musste es mir eingestehen.
es war drei uhr morgens. ich hoffte, dass sie jetzt schlafen konnte. zumindest konnte ich es in dieser nacht nicht mehr.

Donnerstag, 15. August 2013

die männer

in dieser nacht fand ich keinen schlaf. ich rollte mich durch das bett und fiel fast heraus. ich schwitzte und dachte eine krankheit würde mich überfallen. ich schloss die augen und sah den blinden mann noch vor mir. ich hörte seine stimme. sah seine lippen, welche vom bart fast verschluckt wurden. normalerweise sehe ich männer nicht. das habe ich auf dem dorf gelernt. die männer waren meist laut und dreckig. es gab keinen anstand und wenig moral. die männer hatten das sagen. sie nahmen sich was sie wollten. frauen, vieh und rauchten stinkende zigaretten. so war mein vater. und meine brüder waren genauso wie mein vater. laut und armselig. ich bekam nie ein nettes wort zu hören und wurde oft verprügelt. ich ekelte mich bald vor männern.
für mich sind sie gestorben. erst seit ich hier arbeite, sehe ich, dass es noch andere männer gibt. hier wurde den frauen die türe aufgehalten, gepäck getragen, stühle von tischen weggerückt, damit sie sich setzen konnten. und ich rede nicht von den männern, die hier arbeiten. aber diese frauen waren auch reich und schön. es war kein wunder, dass ihre männer sie gut behandelten. naiv zu denken, es würde allen frauen so gehen. aber ich glaube daran. tief im inneren.
dieser blinde mann sah mich nicht mal und hatte respekt. das machte mir fast angst. ich mochte den geruch, noch bevor ich ihn zu gesicht bekam. so dachte ich an ihn bis die nacht gegen frühen morgen ein ende nahm und ich aufstehen musste. stumm saß ich im aufenthaltsraum und der kaffee schmeckte mir nicht. ich zerpflückte das croissant und  ließ es schliesslich liegen. von was träumst du, dolores stieß mich in die seite. ich sah weg. oje, du wirst dich doch nicht in einen gast verguckt haben, lächelte sie. ich schüttelte den kopf, mir war nicht nach lachen. ich wusste selbst nicht was los war. irgendwas in mir ist aufgewacht. und dolores konnte ich auch nichts vormachen. ich trank den mittlerweile kalten kaffee aus und machte mich an die arbeit.

Sonntag, 11. August 2013

francois

allmählich gewöhnte ich mich an den hotelalltag. gäste kamen und gingen. mit ihnen gepäck, geruch und persönlichkeit. meine passion, die menschen anhand ihrer eigenheiten zu entdecken und diese entdeckung auszuleben, geriet langsam aus meinem fokus. ich erledigte meine aufgaben und nur bei besonderen gästen tauchte ich in meine tagträume ab.
es war montag, ein heller vormittag, drei räume hatte ich noch auf der liste. ich betrat die juniorsuite. als ich die türe öffnete kam mir eine welle, eine art frische brise entgegen. es roch nach meer, salz und algen. etwas benommen machte ich mich an die arbeit. nachdem alles erledigt war, legte ich mich kurz auf das bett. ich rollte mich zusammen und drückte meine wange in das kissen. ganz vorsichtig atmete ich tief ein. trotz der frischen wäsche nahm ich meerwasser und salz aus dem atlantik wahr.
ich weiss, sie müssen mich für verrückt halten, vielleicht bin ich es auch. mich während meiner arbeitszeit  in das bett eines gastes, ja, eines fremden zu legen und an seinem kopfkissen zu riechen. es klingt tatsächlich verrückt. aber ich verrate ihnen etwas. ich fühlte mich geborgen. ich fühlte mich sicher. es war, als würde mich jemand umarmen. ich kannte dieses gefühl. es war schon lange her. es war, als meine grossmutter noch lebte. sie nahm mich in ihre arme, als ich noch klein war. danach spürte ich das nie wieder. aber jetzt fühlte ich mich, als würde mich jemand an sich drücken. so lag ich da. auf dem kingsizebett. in meiner putztracht. mit weissen turnschuhen. meine haare zu einem kleinen knoten gezwungen.
plötzlich schreckte ich hoch. ich musste eingeschlafen sein. ich sah zu tür. ein mann kam herein. er war nicht alt. nicht wirklich jung. er war gross. sein haar fiel weich in den nacken, und er trug einen bart, sodass ich von seinem gesicht nicht viel sehen konnte. mich irritierte sein blick. er sah mich an. doch sah er durch mich hindurch. wer sind sie, fragte er. seine stimme war angenehm. sie passte zu diesem duft im raum.
ich fuhr hoch und ordnete das zerdrückte bett, dann meine tracht und meinen haarknoten. er kam langsam herein und hielt sich im letzten moment am türrahmen fest. mir fiel ein edler gehstock in seiner rechten hand auf. ich kann sie nicht sehen, sagte er. ich kann überhaupt nichts sehen, verstehen sie? sind sie das zimmermädchen, er sah mich an. erst wollte ich nicht antworten, was idiotisch war. ja, ich bin das zimmermädchen, stieß ich hervor.
er verließ den türrahmen und bewegte sich stück für stück auf mich zu. seine schuhe waren aus feinem, braunem wildleder und der weiche teppich gab sachte unter ihm nach. dann blieb er stehen und schloss die augen. ich frage mich schon die ganze zeit, welches der zimmermädchen hier so gut riecht, flüsterte er. verunsichert stand ich im raum. ich wusste, dass das gehen jetzt ein fehler gewesen wäre, doch war das bleiben auch einer, wenn auch ein höflicher. wie heissen sie, noch immer waren seine augen geschlossen. um ihn herum versammelte sich der duft von meerwasser und limone in einen wirbel, welchem ich kaum entrinnen konnte. milia, sagte ich. er hielt inne und richtete sich auf. das stimmt nicht, sagte er. erstaunt sah ich hoch. sie müssen ihn mir auch nicht verraten, das ist in ordnung. ich bin francois. er streckte mir seine hand entgegen, ohne dabei die augen zu öffnen. sie war mittelgross und feingliedrig. zögernd gab ich ihm meine. sein handteller war kühl, aber nicht kalt. er drückte meine hand nicht, sondern glitt langsam hinein, bis er sie fester im griff hatte. ein unbekanntes gefühl von wärme stieg in mir hoch. ich erschrak. nun muss ich gehen, sagte ich nach einer weile und ließ seine hand los. kommen sie wieder, wollte er wissen. ich nickte, und wusste dass er es nicht sah, aber er lächelte. ich verliess den raum. die türe fiel schwer hinter mir zu und ich drückte mich mit dem rücken fest dagegen. mein herz schlug bis zum kopf.  ich rang nach luft. und schluckte. ich schluckte den atlantik runter. auch seine stimme. die kühle wärme seiner handinnenfläche. ich lief los. schnell. noch schneller. die weissen turnschuhe waren genau das richtige für diesen job. ich lächelte. dann sah ich hoch. wollte wissen, ob gott mich anschaute. er tat es nicht. alles war in ordnung.

Montag, 5. August 2013

die stadt

es war schon spät, die temperaturen versprachen einen langen sommer und die strassen schienen durch das licht in gold getaucht zu sein. meine schicht endete gerade. ich ging in die stadt. die vielen menschen in den gassen ließen die altstadt aufleben. ich dachte nach. die gute foresta hatte recht. ich fragte mich, was ich tatsächlich vom leben wollte. bis jetzt war mir vieles egal. hauptsache der verdienst war gut und ich konnte meine tägliche, fast schon voyeuristische arbeit sauber verrichten. ich wollte irgendwann besser leben. besser als die frauen in meinem dorf. nie wollte ich so ein jämmerliches dasein wie sie haben. sich tagtäglich kleinmachen, in stinkende töpfe schauen und das ave maria hoch- und runterbeten, um endlich erhört zu werden. ich hatte es satt. hier konnte ich mich zumindest frei bewegen und gott blieb dennoch bei mir. im hotel schätzte man mittlerweile meine arbeit sehr und ich wurde auch offener den leuten gegenüber. eine schauspielerin nannte die foresta mich. eine zeitzeugin. sie merkte wohl, dass ich alles abscanne und abspeichere, um mehr über die menschen zu erfahren. von mir erfuhr man nichts, aber ich, ich wollte alles wissen. vor allem die menschen im hotel interessierten mich. hier draussen war das leben zwar bunter, aber es war nicht so anspruchsvoll. im hotel war es intimer und auch unantastbar. die gäste waren die könige, aber wir, die bediensteten, hatten alles in der hand. die stadt war so gesehen kein magnet für mich, ich war nicht angehalten in cafés zu sitzen und zeitung zu lesen. ich wollte keine museen besuchen und auch keine rundfahrten machen.  ich wollte was leisten. geniessen konnte ich später, sagte ich mir immer. dolores hatte es auch so gemacht. sie hatte nicht mal familie. das grand hotel ist meine familie, lachte sie. ob sie tatsächlich damit glücklich war, war fraglich. mir kam es nicht auf glücklichsein an, ich wollte einfach nur raus aus dem bisherigen sumpf.
auf den stufen der piazza war es noch warm. um mich herum rannten kinder und aufgescheuchte eltern umher. engumschlungene verliebte zogen vorbei und verrunzelte pärchen posierten fröhlich vor einer fotokamera. jugendliche lachten & schrien und vereinzelt fanden sich auch einsame träumer auf den stufen wieder. so wie ich. aber ich spürte gefallen an meiner einsamkeit. die wilde huperei der vespas nahm zu und winzige autos zwängten sich durch die kleinen gassen. langsam begab ich mich auf den weg zurück. nein, die stadt war tatsächlich nicht meine welt. dieses zeitzeugnis konnte ich also nicht unterschreiben liebe signora foresta.

Samstag, 3. August 2013

signora foresta

sie kam in einem elfenbeinfarbenen rolls royce. das grand hotel zitterte bei jeder ihrer anreise. in der lobby versammelten sich der hotelmanager, der stellvertretende hotelmanager, dolores als 1. hausdame, der revenuemanager, die restaurantleitung & noch paar, welche ich nicht erwähnen brauche.
sie bewohnte die suite in meinem stockwerk. dolores persönlich hat alles gereinigt und in letzter sekunde noch die lieblingsblumen der signora foresta besorgt, die italienische und die japanische vogue, einen hochkonzentrierten lavendelduft und in der bar wurden zusätzlich zwei flaschen gin bereitgestellt. es fehlte an nichts und dieses tagelange theater um diese person hatte mich neugierig gemacht. ich konnte mir nicht im geringsten vorstellen, was für eine art von frau das sein sollte. ein monster, sagte dolores. eine unzufriedene primadonna, erzählte sie weiter, niemand mag sie, jeder hat angst vor ihr.
meine schicht fing am nächsten tag sehr früh an. ich wollte nicht aufstehen, dann fiel mir ein, dass ich gegen elf uhr die suite der gefürchteten dame mit bearbeiten durfte. sofort fühlte ich mich wohler. schliesslich wollte ich doch wissen, wie eine primadonna so lebt.
wir hatten alle glück. die foresta wurde zu einem bankett geladen, so verliess sie vor mittag noch das haus. dolores rief an, dass ich mit noch drei anderen bewaffnet die suite übernehmen konnte. ich gab es nicht weiter und steuerte zunächst alleine auf die suite zu. als ich die türe öffnete erstickte ich fast im lavendel- und lilienduft, drei räume wurden gar nicht genutzt, sie lag wohl seit gestern nur im bett. ihre kleidung lag zerstreut im ankleidezimmer, neben dem bett stand eine fast leere flasche gin, eine schlafbrille und herrenlose zeitungsblätter. sie hatte solch ein apfelteil, so einen ipod. paar blütenweisse kopfhörer hingen dran und ich hörte rein. es wimmerte mir eine oper ins ohr, ich hatte keine ahnung davon, doch bekam ich sofort eine gänsehaut. ich sah mich im badezimmer um. sie nutzte eine duschhaube, obwohl ihr friseur mitreiste. ich fand einsame wattebäuschen in der toilette, alle handtücher auf dem boden, chanel no.5 und drei lockenwickler in einem der waschbecken, ein seidener morgenmantel in nachtschattenblau hing an der türe, darunter ein schwarzer ein spitzenBH der grösse 80C. ihre pumps fand ich auch im badezimmer und paar nylons. auf dem sekretär lagen noch persönliche dinge herum, wie eine kreditkartentasche und ein armband. es sah sehr kostbar aus. daneben befand sich ein portemonnaie aus feinstem schwarzen ziegenleder. ich öffnete es. darin fand ich sich zwei bilder. eines war eine schwarzweissaufnahme, an den rändern gewellt und vergilbt. es war ein mann abgebildet. er hatte schwarzes, seitengescheiteltes, kurzes haar und buschige augenbrauen. das andere foto war vergleichsweise neu. eine farbaufnahme zeigte einen jungen mann, auch mit dunklem haar und grünen augen. er lächelte. ich drehte beide bilder um, das vergilbte zeigte eine jahreszahl, 1957 konnte ich entziffern, mit blauem füllfederhalter geschrieben. das andere trug nur einen namen, stefano, auch mit blauem füllfederhalter geschrieben. schnell steckte ich beide fotos wieder zurück. der lavendelgestank wurde unerträglich. ich öffnete die balkonfenster und rief die anderen mädchen an. jetzt konnten wir anfangen.
zwei stunden später erschien dolores, um nach dem rechten zu sehen. habt ihr auch an den balkon gedacht? da draussen sind mindestens fünf gefüllte aschenbecher. sie raucht wie ein schlot, dolores verdrehte die augen. ich war gedanklich noch mit den fotos beschäftigt, dass ich nicht mal bemerkt habe, dass die foresta eine kettenraucherin war. die aschenbecher waren tatsächlich randvoll. sie raucht nicht nur, sie trinkt auch gerne, dolores zeigte auf die 3 ginflaschen in der minibar. es war mir egal, was dolores von ihr hielt. es war mich auch egal, ob sie eine erbin einer sehr bekannten bank italiens war, ich würde sie gerne sehen die signora foresta, vor welcher das hotel tierisch schiss hatte. irgendwas musste sie doch haben ausser geld. was war es nur? wenn dolores was nicht erzählte, fragte ich auch nicht danach. das habe ich in diesem haus gelernt. es werden keine fragen zu den gästen gestellt. man wird aufgeklärt, auch manchmal gewarnt, aber fragen braucht man dann keine mehr zu stellen. der gast ist wie er ist. und er ist könig.
gegen späten nachmittag erschien die foresta mit ihrem gefolge und verzog sich schnell in ihre suite. ich hatte den eindruck dass fast alle den atem anhielten, solange sie bei uns war. alle schlichen um die suite herum und schauten besorgt die tragbaren telefone an. jeder wusste, dass sie in der lage war blitzschnell die suite zu wechseln, wenn nur eine einzige kleinigkeit nicht stimmte. es stimmte tatsächlich etwas nicht. die foresta wollte eine andere suite. der zimmerservicemanager gab es kommentarlos an dolores weiter. es brach stille hektik aus. aber nicht in mir. ich lächelte. vielleicht verloren die lilien zu schnell ihre blätter, vielleicht war die suite um ein grad kälter als gestern oder die foresta ist auch fast am lavendelduft erstickt. sie wusste was sie wollte die foresta. etwas drama tat uns wohl allen gut. wir rechneten ja schon damit. wir wurden aufgefordert, ihre sachen in die suite im gegenüberliegenden flügel des hotels zu bringen. dazu holten wir eine rollbare gepäckstange, welche uns das tragen vereinfachte. da sie ein weiblicher gast war, war es üblich, dass die hausdamen den umzug vornahmen. ich fragte mich, was nicht gestimmt hatte. bestimmt würde ich es bald erfahren. dolores war verärgert, weil alles in bester ordnung war. als ich die suite betrat saß die foresta noch auf dem balkon. sie rauchte und telefonierte. ich verstand kein wort. nachdem ich paar sachen auf die gepäckstange gehängt hatte, kam sie herein. barfüssig. der nagellack in koralle. ihre braunen beine waren wohlgeformt, doch ziemlich in die jahre gekommen. sie trug ein seidenkostüm in hellem beige. das haar war schulterlang, dunkelblond gefärbt und hatte lockige enden. ihr gesicht war jünger als ihre beine. keine falte. nicht mal der zorn verirrte sich da. ihre augen waren kühl, aber nicht kalt. ihr mund etwas verkniffen. aber auch mit korallenfarbe geschmückt. sie war nicht gross. und sie beachtete mich nicht weiter, sondern huschte mit ihrem mobiltelefon durch das zimmer, hinter ihr her eine wolke der üblen zigarettenmarke. es ist soweit signora foresta, sie können jetzt gerne die anderen zimmer beziehen, dolores setzte ihr künstlichstes lächeln auf. danke, die foresta verschluckte sich fast an diesem wort und verliess barfüssig den raum. im gang hörte ich sie wieder telefonieren. die frau hatte stil und wusste um ihre macht. soviel war klar.
wenige augenblicke später war alles untergebracht und die foresta hatte noch etwas zeit, bis sie wieder im hotelrestaurant auftauchen musste. so konnte man frisches wasser aufs zimmer bringen, lüften und in ihrem fall auch nach dem gin schauen.
in aller seelenruhe erledigte ich diesmal alles. gerade war ich in einem ihrer badezimmer, als plötzlich die türe aufschnappte und die foresta ihre suite betrat. ich zuckte zusammen, schnell kam ich mich aus dem badezimmer. ich sah sie an und bevor ich sie begrüssen konnte, winkte sie seufzend ab und ging auf den balkon. ein windstoß der ekelerregenden zigarettenmarke erfüllte sofort den raum. sie saß draussen und rauchte. die beine auf dem tisch, neben ihr ein glas gin. es war kurz nach sieben uhr abends. die sonne brannte noch und langsam wachte die stadt auf. ihre pumps lagen auf dem boden, auch ihre kleine handtasche aus gold.
ich trat zu ihr um sie zu fragen, ob sie noch wünsche hatte. sie sah in die ferne und schüttelte langsam den kopf. dann sah sie mich an. weshalb bist du ein zimmermädchen geworden, fragte sie, du siehst aus wie eine schauspielerin. ich schluckte. da brauchst du gar nicht so zu schauen meine liebe, es gibt nicht viele, die hier aus der reihe tanzen, du schon. sie trank noch einen schluck, du bist doch nicht hier, um tatsächlich meinen scheiss wegzuräumen, du bist hier, weil du mehr über die menschen wissen möchtest. eine zeitzeugin sozusagen. stimmt doch was ich sage, wild fuchtelte sie mir ihrer zigarette herum, dann umfasste ihre hand das glas und mit einem zug war der inhalt verschwunden. dann sah sie wieder in die ferne. ich fühlte mich ertappt und sagte kein wort. die foresta auch nicht. so verging eine gefühlte ewigkeit. glaub mir schätzchen, ich war auch mal ganz woanders. nie hätte ich gedacht, all das zu mal haben. aber alles hat seinen preis. und der kann sehr schmerzhaft sein. sie drückte die zigarette aus, welche komplett heruntergebrannt war. mit einem ruck stand sie auf. fischte nach ihren schuhen und ihrer handtasche und ließ mich alleine auf dem balkon zurück. so stand ich da, bis ich das brennen der sonne nicht mehr spürte und das piepen meines telefons in meiner putztracht nicht mehr hörte.