Sonntag, 29. September 2013

beerdigung


mein vater starb vor knapp zwei wochen. die nachricht erreichte mich gestern. meine schwester bat um mein kommen. sie war die einzige in der familie, ausser mir, die schreiben konnte. ich kämpfte mit dem gedanken zurück ins dorf zu fahren, um diesen verrückten zu beerdigen. ich bat gott um hilfe, doch er antwortete mir nicht. also nahm ich meinen ganzen mut zusammen, rauchte fast eine schachtel zigaretten im hinterhof und packte meinen koffer. 
auch im slalom geht es vorwärts, sagte dolores und umarmte mich zum abschied. ich stieg erst ins taxi, dann ins flugzeug, dann in einen bus und nach knapp 15 stunden war ich da. vor mir ein bergmassiv, klare flüsse und blauer himmel. meinen trolley konnte ich kaum über den steilen schotterweg rollen und so schleppte ich die letzten meter mein westliches hab und gut zu unserem haus. das haus war kein haus. es war eine hütte, welche zwar steinboden hatte, aber der rest eine ansammlung aus lehm, gestein und holz war. vor dem haus saßen schwarzbekleidete frauen im halbkreis. sie hoben die köpfe als ich kam. der eine kopf gehörte meine mutter. sie stand auf. dann fiel sie in sich zusammen. ein lautes aufheulen unterbrach die stille. ich blieb stehen. du hast ihn verpasst, du hast ihn verpasst, schrie sie und sah zum himmel hoch. ihr gesicht war vom weinen aufgequollen und schmerzverzerrt. ich rührte mich keinen zentimeter. dann kam meine schwester aus dem haus und lief auf mich zu. sie umarmte mich. lachte und weinte gleichzeitig. ich sah dass sie schwanger war. dann führte sie mich zu meiner mutter in schwarz. meine mutter nahm meine hände und spuckte drauf. dann heulte sie wieder. ich kannte das theater. es hatte sich nichts geändert. aber ich hatte mich geändert. ich nahm sie in meine arme, hielt sie fest und ihr körper zuckte unter ihrer trauer. so blieben wir in unseren armen liegen. ich verlor jegliches zeitgefühl.
später saß ich im haus. vor mir ein dampfender bohneneintopf. frisches brot und kräutertee. meine brüder waren nicht da, so konnte ich mich etwas entspannen. auch sonst habe ich keine männer im dorf wahrgenommen. meine mutter erzählte, dass sie meinen vater verbrannt haben und auf mich gewartet haben um ihn zu beerdigen. ich trank von dem tee, welcher nach zimt schmeckte. ich sah mich um. es war nicht mehr so dreckig wie damals. es roch auch nicht nach tabak und eselsalami. meine mutter hatte wohl zeit zum nähen. ich sah tischdecken und vorhänge. die farben gefielen mir. türkis. rosa. viele stickereien mit patina. ich strich über die tischdecke. die qualität war gut. der stoff doppelgekämmt. ich mochte es. auch die blumen im haus. es waren zwar totenblumen, aber sie passten.
ich schlief gut und am nächsten tag wurde mein vater beerdigt. ich sah nach knapp zwei jahren meine brüder wieder. wechselte jedoch kein wort mit ihnen. auch sah ich andere bewohner des dorfes. die frauen weinten,  die männer standen still herum. ich konnte auch nicht weinen. ich stand wie angewurzelt vor dem grab, in welchem die asche meines vaters eingelassen wurde. 
am abend fanden sich nahe bekannte ein, aber es ging leise zu. meine brüder sahen heimlich zu mir rüber, aber ich merkte, dass sie mein dasein einschüchterte. der westen machte ihnen wohl angst, oder mein mut, dass ich abgehauen bin. ich weiss es nicht. 
ich traf auch elias wieder. er lebte damals im dorf nebenan. er umarmte mich kurz nach der beerdigung. du hast dich verändert, flüsterte er und lächelte. ich lächelte. es tat gut, umarmt zu werden. elias war ein schöner mann. das war mir nie aufgefallen, denn das dorf war immer hässlich und mit unschönen erinnerungen verbunden. 
ich trank nach dem üppigen abendessen noch zwei schnäpse und ging nach draussen. meine schwester kam nach. ihr mann blieb im haus. sie traf ihn vor knapp zwei jahren in der stadt. er war zurückhaltend und warmherzig. ich mochte ihn. er hielt kurz darauf um ihre hand an. mein vater schien ihn zu mögen und gab sie her. vielleicht hoffte er aber auch, dass sein neuer schwiegersohn vermögend war. meine schwester ging also auch weg. nur jetzt war sie für meine mutter da. so wie ich. nur, dass ich keinen mann hatte und auch nicht schwanger war. ich dachte an dolores. an das hotel. ich war froh, dass ich wieder zurückkehren konnte. meine schwester erzählte, dass mein vater kurz vor seinem tod geweint hatte. fast täglich. es war unerträglich. sie war froh, dass er starb. er war wie ein kleines kind, konnte sich an nichts erinnern und wollte nicht mehr aufstehen, mir brannte das herz, erzählte sie und weinte. dann weinte ich auch. ich konnte mir denken, welche strapazen die letzten wochen waren. dann befühlte ich ihren bauch. es war wunderschön. dann lachten wir und umarmten uns.
sie ging zurück ins haus. ich blieb sitzen und sah hoch. ein sternenteppich legte sich über den himmel und ich atmete tief ein aus. dann kam elias.
als ich am nächsten tag aufwachte überlegte ich erst wo ich war. ich sah seinen rücken. sein dunkles haar. er roch gut. er roch nach bergluft. unschuldig lag er neben mir und schlief. ich wusste was passiert war. ich spürte es sogar noch.
mein kopf war noch etwas schwer. aber ich fühlte mich gut. noch bevor ich weiterdenken konnte, strich er mir das haar aus dem gesicht und küsste mich. ich blieb noch eine weile. ich wusste dass sich alle das maul zerreissen würden, aber es war mir egal. es war auch ihm egal. er lebte nicht mehr im dorf. er lebte in der  stadt und arbeitete als ingenieur. auch er kam lediglich zur beerdigung. mit dem leben hier hatte er nicht mehr viel zu tun. ich schloss die augen und erlebte alles nochmal. er war das gegenteil der anderen männer hier. und ich blieb bis zum abend.
meine mutter schüttelte den kopf und weinte wieder. ich umarmte sie. ließ geld da. küsste meine schwester und am nächsten tag fuhr ich mit ihm in die stadt. ich blieb eine weitere nacht. aalte mich im gefühl gut aufgehoben zu sein. dann kehrte ich in meine stadt zurück und wusste, dass ich mich für das richtige entschieden hatte.