Sonntag, 25. August 2013

meister angelo

ich hatte einen freien tag. dolores hatte mich schon lange genervt, dass ich meinem naturkrausem haar einen schnitt schenken sollte. ich hatte keine lust was zu verändern, denn während meiner arbeitszeit trug ich die haare ohnehin zum knoten. und wenn ich abends erschlagen im bett lag, so waren mir fünf oder zehn zentimeter weniger oder mehr tatsächlich egal. bitte geh dahin, dolores hielt mir eine karte unter die nase, du wirst spass haben, um den rest kümmere ich mich. so ging ich zum ersten mal im leben zum friseur. die adresse glich einem palast mit bodenlangen fenstern und viel mamor. zwei duzend stühle aus chrom und leder brachten eine schönen kontrast in den historischen raum. riesige durchsichtige vasen mit lilien standen auf den tischen und im hintergrund lief mozart oder bach. ich wusste es nicht genau. bald saß ich zwischen vielen frauen, vielen handtaschen und viel rotem nagellack auf einem der bequemen stühle. der meister war ein bekannter mann in der stadt. dolores schickt sie, welch freude, ich bin angelo, sang er vor sich hin, reichte mir erst seine dickliche hand und gleich danach ein glas champagner. sie haben wunderschönes haar, umwerfend, trällerte er in höchsten tönen und grub seine hände tief in meine locken, seine tätowierten augenbrauen kamen vor begeisterung nicht mehr zum stillstand, obwohl die stirn durch botox komplett lahmgelegt wurde. haben sie wünsche, gnädigste, fragte er in einem erwartungsvollem ton, dabei hielt er seinen kopf dicht neben meinen und wir sahen uns beide im spiegel an. sein erscheinungsbild ähnelte einer überholten form von elvis. das haar war zu einer schwarzgefärbten tolle gezimmert, seine jeans eng und das hemd aus seide war ordentlich darin untergebracht. der gesamte palast roch nach moschus und haarlack. etwas benommen trank ich in zwei zügen meinem champagner leer, was zu noch mehr schwindel führte. ich habe keine ahnung was mir steht, sagte ich und der meister sprang mit einem satz zur seite. dafür bin ich doch da, gnädigste. er lächelte und nahm erneut meine hand. seine stirn bewegte sich nicht. nichts bewegte sich. ich lächelte gequält zurück. sie sind wunderschön meine liebe, das wissen sie schon oder, sang er weiter und versuchte mein haar in form zu bekommen. ich sah in den spiegel. und sah wieder weg.
es wurde ein waschbecken heran gerollt, ich in die waagrechte befördert und ein junger mann namens nikolai wusch mir die haare. das warme wasser war angenehm. auch die massage. trotzdem lag ich sehr verkrampft da. die reichen und schönen waren hier und mittendrin auch ich. was hatte dolores sich dabei gedacht? wollte sie mich fertigmachen? was hatte das mit mir zu tun? jahrelang schnitt ich mein haar selbst. auch zupfte ich mir die augenbrauen und keiner hat sich jemals beschwert. ich mache ihnen noch eine vitaminhaarkur ins haar, flüsterte nikolai und ich zuckte mit den achseln. nachdem ich mit einem turban aus edlem frottee wieder aufrecht saß tanzte angelo wieder heran. ich hatte ohnehin keine chance und ließ ihn machen. beobachtete im augenwinkel die anderen kundinnen, welche hochglanzmagazine blätterten, champagner tranken und ihre kinder oder ihre pudel kraulten. ich schloss die augen. dolores, dolores du treibst es tatsächlich weit mir mir, dachte ich. nach einer gefühlten ewigkeit öffnete ich wieder die augen und sah in den spiegel.
ich sah eine frau. 28 jahre alt. sie hatte helle haut. paar sommersprossen auf der geraden nase. hohe wangenknochen. grasgrüne augen und lockige braune haare. der mund hatte volle lippen. sie öffnete sie und ich erkannte eine kleine zahnlücke. die augenbrauen gaben dem gesicht einen rahmen. die frau, die ich sah, war ich.
bravissimo, angelo trat einen schritt beiseite. ganz wunderbar, ausgezeichnet, klatschte er in seine dicken hände. dann nahm er ein taschentuch und tupfte sich die stirn ab. gnädigste, wir haben sie geschminkt, ihre brauen nachgetönt, auch ihr haar. die farbe heisst siena. ist das nicht wunderschön, gierig griff er im haar herum. ich konnte nicht glauben, dass ich die frau im spiegel war. aber ich war es. und ich war schön. schöner als dieser ganze haufen frauen hier, welche sich mittlerweile an meiner einfachen kleidung und den turnschuhen ergötzten. ja, ich war schön. sehr schön sogar.
nach ein paar haarsprayaktionen verließ ich den palast. und war dolores sehr dankbar.