Montag, 29. Juli 2013

dolores

wenn man sich richtig darauf einlässt, hat man bald kein privatleben mehr. nicht viele können hier arbeiten und leben. disziplin steht an oberster stelle. es ist kein abenteuer, sondern ein neues leben, prüfend sah mich dolores an. ich nickte. genau das wollte ich.
so kam es, dass ich ein winziges zimmer im grandhotel bezog. die ersten monate teilte ich dieses mit der anderen neuen. das gehörte zum einarbeitungsplan. wir verstanden uns gut. dolores war streng. die einarbeitung hart. ständig hatte sie neue aufgaben für uns. sie schimpfte. verdrehte augen. stampfte wütend mit dem fuss den weichen teppich unter sich platt. liebe damen, sagte sie oft, haben sie schon was davon gehört, dass staub und fingerabdrücke die natürlichen feinde eines jeden hotelzimmers sind? ihr müsst arbeiten wie diebe. ohne spuren zu hinterlassen, versteht ihr? die einzige spur ist die sauberkeit. alles klar? sie sah uns an. wir grinsten. dolores war fair, wenn auch hart. vor ihr hatte ich mehr respekt als vor meiner eigenen mutter. abends lag ich dann in meinem bett auf dem zimmer, sah die decke im dunkeln an und dankte gott, dass er mich hergebracht hatte.
mittlerweile scheute ich mich nicht und holte täglich zeitungen aus der lobby. ich erfuhr immer mehr über das land, in welchem ich nun lebte.
wenn ich meine zimmer auf dem stockwerk säuberte, so tauchte ich in eine ganz andere welt. roch heimlich an den kopfkissen der gäste. wusch mir die hände mit deren duschöl und hielt mir die seidenkleider der damen an, wie auch die krawatten der herren. ja, ich träumte davon ein gast zu sein. reich und schön. ich war nicht naiv, ich wusste, dass es nie so weit kommen würde, aber genau deshalb träumte ich davon. die gäste waren meist kurzreisende. viele geschäftsleute. sie kamen aus allen ecken der erde. manche benahmen sich wie schweine. alles war verdreckt. manchmal ekelte ich mich auch, aber schlimmer als auf dem dorf, aus welchem ich kam, war es nie. am schönsten war es, wenn ein neuer gast kam. da ich fast nie einen zu gesicht bekam, konnte ich mir nur in meiner phantasie ausmalen, welch ein mensch das zimmer gerade bewohnte. am anstrengendsten waren paare. dolores fluchte zum himmel. die zimmer sahen manchmal aus wie nach dem 30-jährigen krieg. sie stritten und vögelten. beides konnte man sehen. hier und da fanden sich noch damenhöschen irgendwo im zimmer, obwohl die damen schon längst abgereist waren. manchmal fand ich geld unter der matratze und alte stofftaschentücher. ab und zu machte ich eine pause und traute ich mich in die lobby, besorgte mir einen pfefferminztee und stand im sicheren abstand zum eingang. da reisten sie an. in limousinen. mit wagenladungen voll lederkoffer, mit wehendem haar und mit einem mann, der ihnen hinterherhechelte. manchmal war es auch umgekehrt. da waren die damen diejenigen, die den männern hinterher schlichen. die herren versprachen sich wohl lange nächte, während die damen eher an kreditkarten und am hotelmasseur interessiert waren. auch das war gang und gebe hier. ein riesiger kochtopf mischte alle und kochte leise vor sich hin. einerseits amüsierte mich das ganze, andererseits fand ich es schade. ich verzog mich zurück auf mein stockwerk. meine phantasie wollte das anders sehen. das leben ausserhalb des hotels war mir sowieso mittlerweile egal.
träum nicht so viel, sagte dolores. du machst deine arbeit gut, aber bleib hart dabei. das leben ist kein wunschkonzert. und ich wusste, dass sie recht hatte.