Dienstag, 4. Juni 2013

anti-fräulein

als ich sie kennenlernte war sie 17. sie war schön, energisch & wusste immer was sie wollte. auch wenn sie immer sagte, dass sie nie wüsste was sie wollte.
sie trug die seidenkleider ihrer verstorbenen oma, heimlich die pumps ihrer mutter & rauchte die gauloises ihres bruders. ihr vater starb als sie 5 jahre alt war. sie wollte die schule mit 17 schmeissen und abhauen.
ständig erzählte sie mir vom ausland. vom meer und von traurigen liedertexten, welche sie auf der gitarre spielte. sie hasste pferde, mochte aber reiterstiefel. bodenständig sind die, lachte sie. dabei warf sie den kopf zurück. sie sah ganz wunderbar aus. oft stiegen wir ganz leise in den weinkeller ihres opas herab und fanden rotweinschätze, welche wir dann am fluss austranken. ich hatte dann mut & sang, wenn auch schiefe melodien & sie spielte dazu roma -balladen. manchmal war sie weit weg. ich konnte ihre einsamkeit und ihren hunger in ihren augen sehen. so anmutig sie war, so widerspenstig konnte sie sein. sie fluchte. so laut, dass mir angst und bange wurde. sie beschuldigte mich. sie beschuldigte ihre mutter. ihre verstorbene oma. schlampen seid ihr, schrie sie, ihr bringt die männer nur ins grab. scheiss schlampen, das waren wir in ihren augen. was war sie? einmal fragte ich sie, da packte sie mich am hals und sagte, 'ich bin kein mädchen. ich bin keine frau. ich bin das dazwischen, ich bin ein anti-fräulein. ich passe nirgens rein. verstehst du?' ich schluckte damals. wenn ich sie nicht so geliebt hätte, wäre ich für immer fort gegangen. aber sie hielt mich. ihre ausstrahlung ließ mich immer verblassen. sie war ein magnet. neben ihr war ich jemand. ohne sie fühlte ich mich wie im schattenland. ich wusste dass es falsch war so zu denken, aber sie liebte mich. auf ihre art. sie kämpfte um mich. beschützte mich. baute mich auf. um mich dann wieder nackt zu machen. aber ich liebte sie.
es vergingen paar jahre. ich traf sie in madrid, wo sie eine tanzschule leitete. sie hatte sich nicht verändert. ihr gesicht war nur etwas strenger, die augen dafür weicher. sie umarmte mich. hielt mich lange fest. dann zog sie sich die hohen tanzschuhe aus, nahm meine hand und zeigte mir barfüssig den  innenhof. es war sehr warm.
wir setzen uns an den kleinen springbrunnen und tranken eiskaltes wasser. ich fühlte mich wie neunzehn. ich fühlte mich nicht alleine, wenn sie bei mir war. sie war klug. ungebrochen und stark.
kannst du dich an den kleinen jungen erinnern, fragte sie mich dann. ich wusste nicht, was sie meinte. schau nicht so, meinen kleinen jungen, sagte sie lauter. nein, ich wusste nicht welchen kleinen jungen sie meinte. 'vor paar jahren, als ich wegging, da wurde ich schwanger. ich wusste es erst nicht. pirro sollte er heissen. ich konnte seinen herzschlag noch nicht fühlen, aber er war da. eines tages verlor ich pirro. er starb in meinem körper.' ich sah sie an. tränen rollten über ihre wangen, über meine auch. ich umarmte sie. hielt sie. ihren körper ein kleines muskelgeflecht. mittendrin das grosse, aber schmerzende herz. ich trank, flüsterte sie.  ich trank und trank, ich trauerte ihm nach. ich wollte niemanden sehen, verprügelte eine schülerin der schule hier, erzählte sie noch leiser. scheiss schlampen, sagte sie dann, wischte sie sich die tränen weg und schaute zum himmel, sie bringen die männer doch alle ins grab'.  ich nickte. und wusste, dass sie recht hatte.