Mittwoch, 20. Juli 2011

hauptstadt der angeber



danke frau berg- sie haben so recht:


es sieht so aus, als sei berlin die einzige stadt in deutschland.
muss ich jetzt noch umziehen, um modern zu sein?
da gibt es doch kaum einen grund, berlin zu schätzen als alternder mensch. es macht einen müde, den eifer zu sehen, mit dem die jungen glauben, genau ihr dasein würde sich über alle anderen erheben. die, die da geboren wurden, können das nicht ändern, die sind reich und wohnen am wannsee. oder mit hartz iv im wedding.

die, die in die stadt ziehen, erwarten etwas. billige mieten, um endlich malen zu können, oder einen interessanten beruf, etwas kreatives in einer firma, die communication consult heißt. einen job ohne bezahlung, wer will schon geld, wenn am arbeitsplatz der neue mac air steht? sie sind jung und kommen aus gotha und remscheid, aus dormagen und wanne-eickel, aus uster und kleinen nestern in england. sie fühlen sich erwachsen und mutig und staunen: so eine riesige stadt, so hässlich und verbaut, wie new york oder são paulo oder hiroshima. und wenn ich es da schaffe, schaffe ich es überall.
ein mantel des schweigens wird gelegt über die ziele, die den jungen menschen selber nicht klar sind, außer dass es etwas mit geschwindigkeit zu tun haben müsste. egal, dass erwartungen immer das große potential der enttäuschungen innewohnt, denn nun sind sie in berlin angekommen. sie stehen am fenster und schauen hinaus und fürchten sich ein wenig vor dem versagen.
am tag machen sie etwas, mit einem fahrrad oder design oder milchkaffee. und in der nacht jagen sie wie junge wölfe. was sie in diesen nächten treffen, sind millionen wie sie, alle so am suchen, dass keiner mehr in ruhe schauen mag, denn das glück könnte gerade aus der bar hinaus in die nacht entwischt sein.

berlin ist die hauptstadt der angeber. die richtigen menschen, die aussehen wie die falschen (nur die label sind ausgetauscht) verkehren nur an den richtigen orten. wie krieger zischeln sie sich die namen der neusten plätze zu, und im minutentakt kommen sms mit adressen illegaler bars, und mit entschlossenen gesichtern ziehen sie los, kämpfen sich durch die touristen. rührend sind sie, denn sie fühlen sich so unendlich.
millionen kleine universen, die sich nicht berühren, existieren in der stadt, segeln aneinander vorbei auf der schnellen jagd nach etwas, das sie nach einiger zeit vergessen haben. und das leben in berlin ist bald so wie an jedem anderen ort der welt. nur ein wenig mühsamer. keinem bekommt es, so viele menschen zu dicht zu haben.
die natur wirkt wie aus plastik, wenn tausend andere sich darin aufhalten und es nur noch nach parfum und sonnencreme riecht. draußen ist gerade sommer. nackt und schwitzend liegen sie zu tausenden um eine warme pfütze und grillen würste. berlin ist großartig. wie jede großstadt auf der welt mit kleinen menschen darin, die vor dem einschlafen ein kleines stück himmel sehen und denken: irgendwas ist falsch. aber was das wohl sein könnte, das fällt keinem ein.

und die alten löschen das licht in ihren großen wohnungen. sie erinnern sich nicht mehr daran, was früher war, da war ein gefühl wie hunger, wie ging das nur? so ist das mit dem alter, das macht alles vergessen, was einen mal angetrieben hat. der hunger ist weg - und was bleibt, ist die leise freude an gutem essen. aber wo soll man das nur finden in dieser stadt?
und über dieser großen frage schlafen sie ein und träumen von landhäusern in südfrankreich. genauso wie es millionen andere tun, überall auf der welt.