Freitag, 3. Mai 2013

halbe stunde am mittag

ich lief die strasse hinunter. es kamen mir frauen mit baby und wagen entgegen. männer mit aktentaschen. omas mit hunden, die schnell an die laterne pinkelten. schreiende schulkinder. nach bier und schweiss riechende bauarbeiter. der normale alltagstrott. der wind kam aus südwest, was wärme versprach. meine augenlider waren noch schwer. die nacht war hart. ich blieb an einem schaufenster stehen. dann sah ich mich. eine kleine person. die jeans hier zu gross, dort zu klein. die haare ein langes, ungetümes flechtwerk. verschlafene augen, weitweg vom schlafzimmerblick. die hände wärmesuchend in den jackentaschen der engen lederjacke. so stand ich da und sah mich an. wer ist sie? wer ist sie wirklich? fragte ich mich. ist es noch das kleine lautschreiende rebellische mädchen? welches weinbergschnecken sammelte, wie andere mädchen barbies? das mädchen, welches beim versteckspiel in ihrem versteck eingeschlafen ist, weil es unbemerkt bleiben wollte? welches im sommer ständig in badehose rumlief, eine eigene taschenmessersammlung hatte, welches kleider und rosa hasste? ist es die kleine nervensäge, welche nie still sitzen konnte? kiloweise bücher von der bibliothek nach hause schleppte, um in andere welten zu tauchen? welches fernglas und globus besaß, während andere sich die haare färbten und jungs küssten? der teenager, der nicht mehr volleyball spielen wollte, weil die brüste auf einmal störten? oder mit 14 jahren heimlich mit dem auto durch gurkenfelder fuhr? war sie das? ja, sie war es. sie war es auch, welche sich nie traute. lieber weit weg fuhr, als da zu bleiben. sie war diejenige, die manchmal oberflächlich war, um die tiefgründigkeit auszuhalten. sie war es, die manchmal einsam war, um es vom alleinesein unterscheiden zu können. ja, es war sie. ich strich durch mein flechtwerk, welches nicht ganz so komplex war wie mein hirn. und dennoch, war das blonde haar weich und roch nach einem parfüm, welches sommer bedeutete. der wind strich hindurch und beruhigte das kleine mädchen und als ich gehen wollte, sah ich die erwachsene frau.