Donnerstag, 6. Dezember 2012

rosmarin und basilikum

ich stehe an der besagten hausecke. es ist genau zwei uhr. zwei uhr nachmittags. bald wird sie kommen.
viele jahre habe ich sie nicht mehr gesehen. mein blick fällt auf meine schuhe. sind sie sauber genug? sie hasst dreckige schuhe. ich hasse gebohnerte. aber noch weniger mochte ich ihren abwertenden blick, welchen sie auf mein unsauberes schuhwerk warf. folglich waren alle meine paare sauber.
wie mag sie wohl heute aussehen? immernoch die kleine frau mit dem grossen mund? ihrem pechschwarzen art-deco-haarschnitt? sie sammelte rote lippenstifte. erst die günstigen. dann die teuren. das chanelzeichen hat sich irgendwann in die innenseite meiner augen gebrannt. ich mochte es. manchmal lag sie auf dem bett. sie lag auf dem bauch und ich konnte ihr hinterteil sehen, welcher durch den seidenen morgenmantel schimmerte. sie las klassiker. ich hasste klassiker. ich mochte politik. sie hasste politik. sie liebte dramatische romane aus längst vergangenen zeiten. ich wollte das hier und jetzt. sie trank schwarzen tee. überall standen die tassen mit  den kalten braunen überresten herum. ich sammelte alle auf und türmte diese in der küche. das mochte ich nicht. ich mochte ihren morgentlichen duft. sie roch nicht gewöhnlich. sie hatte jahrelang die gleiche seife und körpermilch. manchmal klaute sie kleine seifen in den hotels, in welchen wir uns liebten. und wenn ich daheim in meiner schublade nach socken suchte fand ich dort immer wieder eine hotelseife versteckt. sofort konnte ich mich erinnern wie es war. wie es mit ihr dort war.
manchmal weinte sie. mitten in der nacht. sie weinte und bedauerte alles und jeden auf dieser welt. ausser sich selbst. alle taten ihr leid. mir tat sie leid in diesen momenten.
am nächsten tag war sie wie ausgewechselt. beschimpfte den postboten. kochte gemüsesuppe, welche sie nie aß. ich liebte es wenn ich heimkam. oft war sie da im wohnzimmer. neben ihr ein stapel zeitungen. eine schere. sie schnitt artikel aus. die sind wichtig, sagte sie. neben ihr stand eine flasche wodka. doch betrunken war sie nie. ich war betrunken. betrunken durch sie. sie gab mir kraft, doch lähmte mich ihre liebe auch. ich ging oft fremd. sie roch es. nie sagte sie was. eines tages scheuerte sie mir eine. wasch dich gefälligst wenn du schon bei einer anderen warst, sagte sie. ich bin nie wieder zu einer anderen gegangen. ich erinnere mich an die rosen. alle rosen, die ich ihr brachte landeten im müll. immer wieder. ich gab auf. eines tages brachte ihr basilikum mit. den behielt sie. ich brachte rosmarin. auch das gefiel ihr. basilikum ist vergänglich, sagte sie. der rosmarin hat mehr kraft. beide sorten liebte sie. so hatte sie kräuter statt rosen im haus.
ich erinnere mich an den tag als sie in ihrem kleinen mantel vor mir stand. ich gehe, sagte sie. ich komme nicht mehr zurück, sagte sie und sie ging.
vor sehr langer zeit ist sie gegangen. ich heiratete eine andere und mir wurden zwei töchter geschenkt. dann erreichte mich ihr brief.

geliebter, schrieb sie.
geliebter, ich kann nicht mehr liegen. nicht mehr die augen schliessen. überall tut es mir weh. die farbe hält nicht mehr. nicht an mir und nicht am haar. mein körper ist noch kleiner. der schmerz in mir grösser. in mir leben nur noch erinnerungen. ich sehe deine haarsträhnen. deine dreckigen schuhe. geliebter, an deine ungewaschene scham kann ich mich erinnern. an deine augen und deine ideen. bevor ich mich für immer verschliesse, so lass uns das letzte mal sehen. umarme mich, wie damals nachts im bett. tröste mich. und ich tröste dich. für immer.

so stehe ich an der besagten hausecke und warte. nun ist es 4uhr.  4uhr nachmittags. dann ist es 5uhr nachmittags.  und dann ist es 6uhr nachmittags. und mit jeder neuen stunde weiss ich, dass ich zu spät bin.