Samstag, 13. Oktober 2012

41 grad fahrenheit

'ist das ihr mantel?'
ich sehe auf. der mann, der vor mir steht ist bestimmt 60jahre alt. das dunkelgraue haar nach hinten gelegt. nicht gegelt. sportlich. dunkelblaue jeans. dunkelblauer pullover. mittelalte redwings. hornbrille und ein grüner schal. er hält meinen neuen mantel hoch. es ist herbst.
'ja!'
'dann ist das auch ihr stuhl. darf ich mich zu ihnen setzen?' hinter der brille schauen mich wasserblaue augen an.
'bitte, setzen sie sich.' recht ist es mir nicht. neben mir stehen schon zwei schon kalte tassen milchkaffee. mein laptop. fotoapparat und paar notizen. kein platz um ehrlich zu sein.

dankend setzt er sich. mit ihm ein hauch von einem parfum dessen name mir nicht einfällt. er legt seine zeitschriften auf den überfüllten tisch. seine zigaretten. sein laptop. ich rücke zusammen. verdammt. der tisch biegt sich.
'einen doppelten espresso. ein wasser und das sandwich. darf ich ihnen auch noch was bestellen?'
verzweifelt schaue ich meine halbvollen tassen an. und ich weiss, dass ich noch nichts gegessen habe.
'ich nehme auch so ein sandwich, vielen dank.' ich versuche zu lächeln.
'arbeiten sie hier?'
'ich recherchiere hier.' nach reden ist mir nicht. nicht heute.
'sind sie journalistin?'
'nein.'
'sie sehen so aus.' sein blick tastet mich ab. aber sanft.
irritiert widme mich wieder meinen notizen. der mann kommt mir bekannt vor.
das café füllt sich zunehmend. mittlerweile stehen die gäste, nein quetschen sich. es ist laut. und unangenehm. zumindest für mich.
das rettende essen naht.
'guten appetit.' seine lippen sind trocken. er raucht zuviel. und trinkt wahrscheinlich auch zuviel.
'ihnen auch.' gierig drückt sich mein mund tief durch das weiche sandwich und ich schmecke käse. schinken. ein ledriges salatblatt. butter.
'ich habe sie hier noch nie gesehen. wohnen sie in der nähe?'
'nein, ich bin letzte woche angekommen.' langsam löst sich mein schweigen.
'woher kommen sie?'
'aus dem süden.'
'ich aus dem norden.' neue falten umspielen seine augen. er lächelt.
mein blick bleibt an seinen händen hängen. ein ring schmückt seine rechte hand.
etwas butter klebt an seinem zeigefinger, doch es stört ihn nicht. mich schon.
'sie reden nicht gerne, nicht wahr?' sein lächeln nimmt zu.
'doch. naja, irgendwie nicht. mein vater ist letzte woche gestorben.'
'das tut mir leid.'
'das ist ok, ich kannte ihn nicht sonderlich gut. jetzt nach seinem tod möchte ich ihn naja, kennenlernen. deshalb bin ich hier. ich versuche was über ihn herauszubekommen. was über seine kindheit. jugend. ja. sowas.'
'das hört sich wunderschön an.' seine rechte hand berührt meine. ganz sachte. ich schrecke nicht zurück.
'und wo schlafen sie?'
'in einem hotel. ich habe kontakt zu seiner schwester. sie lebt noch hier.'
'das ist ein warmherziges projekt welches sie da starten. ich bewundere ihr vorhaben.'
'es ist merkwürdig. mir kommen hier plätze unheimlich bekannt vor. auch die menschen. aber ich war das letzte mal vor 32 jahren hier. ich war vier, als meine mutter und ich von hier weggegangen sind.'
'und seitdem haben sie ihren vater nie wieder gesehen?'
'nein.'
'keine bilder?'
'nein, keine bilder.'
'haben sie geschwister?'
'nein.' wieso fragt er so viel?
'als ich ein kleiner junge war war ich mit meinem vater in dieser metzgerei dort. und bei dem bäcker dahinten mit meiner mutter. da vorne gab es früher einen schneider. und dort hinten den käsehändler. da ist jetzt eine reinigung. daneben gab es einen fotographen. und dort...'
stumm knipse ich von meinem sitzplatz aus.
20 bilder. ich möchte reden.
'sind sie verheiratet?' ich deute auf seinen ring.
'nein, meine frau ist vor langer zeit gestorben.'
'haben sie kinder?'
sein blick schweift ab. 'doch, eine tochter. sie starb auch.'
ich spüre das sandwich, wie es sich wie ein betonklotz in meinen magen wirft.
'sie sehen ihr ähnlich.' sein lächeln ist weg. ernsthaft schaut er mich an. 'deshalb setzte ich mich
zu ihnen.'
tief in mir überkommt mich ein schmerz. ein schmerz, der neu ist. aber er ist alt. das war die zeit, als ich mit meiner mutter die stadt verlassen habe. als ich auf der rücksitzbank des wagens angeschnallt wurde. so fest, dass ich mich nicht mal umdrehen konnte, um meinem vater zu winken. ich konnte mich nicht verabschieden.
'tränen. sie haben tränen in den augen.'
'ja, ich fühle mich wie die vier-jährige von damals.' ich antworte ehrlich, was habe ich zu verlieren?
'ich weiss. ' langsam holt er ein kariertes taschentuch aus der tiefe seiner hose und reicht es mir, damit ich meine tränen wegwischen kann.

ich erkenne es sofort- es ist das karierte taschentuch meines vaters.