Freitag, 4. Januar 2013

spannungen unter der oberfläche

als ich sie zum ersten mal sah muss sie 14 jahre alt gewesen sein. sie war die tochter der französischlehrerin meines sohnes. ich sah sie zufällig auf dem wochenmarkt. trotzig lief sie ihrer mutter, der lehrerin, hinterher. in der hand hielt sie eine basttasche, aus welcher lauch ragte. sie war für ihr alter relativ gross. hatte ein schönes gesicht. hohe wangenknochen. rehbraune grosse augen und ein kindliches kinn. ihr mund war weder gross noch klein. ihr haar sehr lang. natürlich blond gesträhnt, leicht in sich gedreht, wippte es und folgte ihrem gang.
dann zog die französichlehrerin in eine andere stadt. mit ihr auch die tochter, denn sie sah ich auch nicht mehr.
drei jahre später bekam ich einen auftrag und musste nach hamburg, um dort alte lagerhallen zu fotografieren. ich blieb fünf wochen. abends setzte ich oft vor kleine kneipen und trank bier. es war spätsommer und die stadt tat mir gut.
dann sah ich sie. sie stach aus der menge, wie ein plätzchen, welches aus butterteig geform wurde. sofort erkannte ich diese langen haare. seitlich gescheitelt. wie damals auf dem wochenmarkt.  sie lief alleine durch die strasse. ein kurzes flatterndes kleid umspielte ihre beine. ihr blick konzentrierte sich auf die leute, welche die strasse säumten. ich hatte den eindruck sie suchte jemanden, doch wollte sie dabei unerkannt bleiben. am liebsten wäre ich aufgsprungen und ihr nachgerannt. hätte sie nach ihrer mutter gefragt, ob sie nun selbst hier lebt oder auf der durchfahrt ist. ich musste mich zwingen sitzen zu bleiben. was würde sie denn denken? der vater eines ehemaligen schülers ihrer mutter rennt ihr nach. sie kannte mich nicht mal. was würde sie also denken? ich wusste es selbst nicht. doch dieses mädchen weckte was in mir, was jenseits von lust und begierde lag. nie waren vorher junge frauen für mich wichtig und ich kann mich nicht zu den männern zählen, welche vor schulen im auto warten und auf weissgesockte minirocktragende minderjährige starren. nein. aber sie hatte schon damals das gewisse etwas und es reifte in ihr heran. jeder, der sich mit wein auskennt, wird es vielleicht verstehen. man kennt die gute traube, das renomierte anbaugebiet und ist gespannt auf den neuen jahrgang. man kann also davon ausgehen, dass der wein gut wird oder jedenfalls neugierig wie die zeit diesen formt und verändert. wein ist demnach genuss, was nicht direkt mit verführung und sex zu tun hat. vielleicht können sie mir folgen? ich blieb damals auf dem stuhl sitzen und meine augen trennten sich nicht von ihr, während sie zielstrebig die strasse ablief.
elf weitere jahre vergingen und ich war in berlin. hatte dort einen auftrag. schweden war zu besuch und ich musste wieder fotografieren. das projekt zwang mich dort paar wochen zu bleiben. es tat mir nicht so gut wie hamburg damals. die berliner waren noch direkter, was mich stellenweise einschüchterte. abends landete ich dann mit einem bauleiter in einer bar. an den namen kann ich mich nicht mehr erinnern. aber dass man dort rauchen konnte, das blieb mir im kopf. ein paar drinks später nahm ich eine frauengestalt wahr. sie stand neben mir am tresen und rauchte. ich erkannte sie sofort. die tochter der französichlehrerin. ihre haare zu einem zopf gebändigt, die lippen rot, die wangenknochen auch, ihre augen funkelten wie schwarze kohlen. sie lehnte an der theke und beobachtete die anderen gäste. benommen starrte ich sie an.
'haben sie feuer?' fragte ich sie endlich.
'klar!' ihre stimme war hell und weich. sie zog mühlelos ein zippofeuerzeug aus der tiefe ihrer schwarzen lederhose und reichte es mir.
'danke! einen drink vielleicht?'
'ich hatte schon drei!' sie lächelte. kreideweise gerade zähne kamen hinter ihren lippen hervor.
'verstehe!' ich blieb ruhig. zumindest wirkte es nach aussen so. innerlich fuhr ich achterbahn. eine aus mischung euphorie und dem wunsch kotzen zu müssen mochte meinen zustand wohl am besten beschreiben.
'ein wasser hätte ich gerne, mit einem schuss wodka und viel eis.' diktierte sie, dabei hielt sie kurz meinen oberarm fest. kalte hände hatte sie. aber einen warmen atem.
ich bestellte dieses neuzeitliche getränk, obwohl wasser und wodka nichts neues waren.
'kennen wir uns? denn ich habe sie schon mal vor paar jahren in hamburg gesehen! sie sassen vor dem bendt.'
fast verschluckte ich mich an meinem whiskey. sie erinnerte sich an den abend in hamburg. an die paar sekunden auf der strasse. an mich. den immer grauer werdenden vater, der ihre mutter die französichlehrerin, kannte. diese überraschung hätte mich fast verraten. fast hätte ich verraten, dass ich den tag auf dem wochenmarkt nicht vergessen konnte, wo sie zwischen all dem bunten gemüse und obst ihrer mutter hinterher schlich wie ein schatten. ihre augen vor langeweile verdrehte und ihr fadendünner arm unter der last des bastkorbes immer länger zu werden schien.
jetzt stand sie neben mir. in berlin. in einer bescheuerten raucherbar und sie war bestimmt doppelt so alt wie damals und immer noch so schön.
'ja, das stimmt. ich hatte dort einen auftrag. was haben sie dort gemacht?' ich tat so, als ob ich von nichts wüsste.
'ich lebte dort. vor einem jahr bin ich nach berlin gezogen.'
'ganz alleine?' unschuldig schaute ich sie an.
'ja!' ihr rauch zog mir absichtlich ins gesicht.
'mutig für ihr alter.'
'ach so jung bin ich gar nicht mehr! ihre roten lippen spannten immernoch. fast dachte ich sie platzen auf. dann kühlte sie die spannung mit ihrem drink und sagte:
'mir gefällt, dass sie älter sind.' ihre blick bohrte sich durch mein mittlerweile alkoholweiches hirn und ich musste mich konzentrieren. konzentrieren sie nicht einfach zu küssen - so konnte ich ihre lippen zumindest vor dem platzen zu schützen. ich musste mich konzentrieren sie nicht an mich zu reissen, um ihr zu zeigen, dass ich zwar älter,  aber keinesfalls schwach oder gar gebrechlich war. ich musste mich konzentrieren ihr wunderbares langes haar nicht zu berühren und nicht an ihr zu riechen. ich würde nicht nur das kleine, trotzige mädchen in ihr sehen, nein, ich würde es letztendlich auch noch riechen. solange das in mir aufflammte, konnte ich mit ihr nichts anfangen.
'ich muss gehen!' langsam löste ich mich aus meiner gedankenstarre.
'schade! ' sie schaute wieder in die menge.
'meine mutter hatte mal einen schüler. er war schon in der oberstufe. er war hübsch. alle mädchen wollten was von ihm. mich hat er nicht mal bemerkt. es störte mich nicht. ich kann mich erinnern, dass er regelmässig von der schule abgeholt wurde. von einem mann. es war sein vater. und sie erinnern mich an seinen vater.'
zeitgleich drehte sich zu mir und sagte:
'sie sind es. und ich fand sie schon damals aufregend.'
ich spürte einen druck im magen aufkommen. ich schloss die augen. all das kann nicht sein. nicht jetzt. ich öffnete die augen und sah sie an. berührte sachte ihr weiches gesicht und ging.
draussen nahm die achterbahnfahrt endlich ein ende. ich stieg ins taxi und schlief sofort ein.
am nächsten tag fand ich mich in grauer katerstimmung wieder. in meiner hosentasche kleingeld und das zippofeuerzeug.